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Die Kolonien und das «Mutterland»

Die Geschichte unseres Staates hat sich so entwickelt, dass ab dem Ende der 1930er Jahre in der UdSSR die billige Arbeitskraft von Gefangenen auf allen großen Baustellen für den industriellen Durchbruch, der industriellen Erschließung Sibiriens und des Fernen Ostens zum Einsatz kam. Forscher der Sowjetzeit des Landes und der Rolle des GULAGs in ihrem Leben sind sich nur in einem einig: die angewandten Methoden waren barbarisch, die Arbeit war Sklavenarbeit, und das menschliche Leben war zu jener Zeit absolut nichts wert. Nicht die letzte Rolle spielten im System des Archipel GULAG auch die Lager, die sich in der Region Krasnojarsk befanden. Über die Vergangenheit und Gegenwart des KrasLag berichtet der Chef der Hauptverwaltung für Strafvollstreckung beim Justiz-ministerium der Region Krasnojarsk – General-Leutnant des inneren Dienstes Wladimir SCHAJESCHNIKOW.

— Das KrasLag wurde 1938 zu dem Zweck gegründet, um innerhalb kürzester Zeit Holz für das Land bereitzustellen. Beschafft wurde es in den Bezirken Nischne-Ingasch und Irbej, praktisch im gesamten Unteren Angara-Gebiet. Zur selben Zeit wurden geheime Etappen auch in den Norden der Region geschickt, wo später das NorilLag entstand. Die Gefangenen arbeiteten in Schachtanlagen, förderten Erze, die für die Verteidigungsindustrie unerlässlich waren, errichteten Produktionsgebäude, bauten Straßen und Flugplätze. Das NorilLag versorgte sich auch vollständig selbst mit Milch, Weizen, Kartoffeln, Kohl, anderen Gemüsen und Grünzeug.

Und ganz allgemein muss man bemerken, dass zur Zeit der Sowjetmacht die Einrichtungen des Strafsystems auf dem Territorium unserer Region genau dort geschaffen wurden, wo billige, gut organisierte Arbeitskräfte nötig waren. Besonders in den schwer zugänglichen Bezirken. Die Häftlinge bauten Holzverarbeitungsbetriebe in Krasnojarsk und Kansk, Industrieobjekte in Selenogorsk und Schelesnogorsk, den Norilsker Industriekomplex, den Ussinsker Trakt, die Eisenbahn-Zweiglinie Reschoty - Karabula... Die Verurteilten schufteten bei der Glimmer- und Kohle-Förderung in den südlichen Bezirken der Region. In Krasnojarsk wurden mit ihren Händen der Flugplatz, die Maschinen-, Reifen- und Zementwerke, die Affinerie, die Fabrik für medizinische Präparate … gebaut.

Es ist allgemein anerkannt, dass die Arbeit der Häftlinge wenig effektiv war. Doch darüber lässt sich streiten. Unter Berücksichtigung des Arbeitsaufwands war ihre Tätigkeit effektiver. Selbst zu der damaligen Zeit ergriff die Regierung Maßnahmen zur Stimulierung – sogenannter Anrechnungen. In den Bergwerken oder beim Holzeinschlag wurde für die Gefangenen eine Tagesnorm veranschlagt, und ihre Übererfüllung gestattete es dann mitunter einen Tag wie drei angerechnet zu bekommen. Die Haftzeiten waren bis zu 25 Jahren. Ähnliche Maßnahmen gab es auch, wenn die Arbeitsdisziplin nicht verletzt wurde – dann bestand die Möglichkeit, erheblich früher aus der Haft entlassen zu werden. Und solche Fakten gab es nicht selten und nicht nur vereinzelt.

Das Strafvollzugssystem ist – ein Spiegel der Gesellschaft. Die stalinistischen Zeiten waren rau und die Menschen, die damals lebten — rechtlos. Dasselbe geschah auch an den Orten des Freiheitsentzugs. Es genügt, an die traurig berühmten Worte "ein Schritt nach rechts, ein Schritt nach links..." zu erinnern.

Was das System selbst betrifft, wurde es menschlicher. Allerdings musste ein Verbrecher isoliert werden. Aber nicht, um ihn zu erniedrigen und zu "zerbrechen", sondern in erster Linie, um ihn zum Nachdenken zu bringen. Das durchschnittliche Alter der Gefangenen - 27. Wie es heißt, sollen die Leute in die Freiheit hinausgehen, wenn die Haftzeit beendet ist. Sie sollen Väter und Mütter sein oder werden. In unserer Region befinden sich heute 32000 Menschen in Besserungskolonien, insgesamt sind es in Russland — mehr als 600000. Glauben Sie mir, an niemandem geht die Verbüßung einer Strafe spurlos vorüber. Die Rede ist von den "Gefängnis-Universitäten", nein: der Mensch bekommt Zeit, sein Leben anders zu bewerten uns soll versuchen, es sich neu aufzubauen. Eine Vorstrafe in der Vergangenheit soll nicht sein gesamtes weiteres Leben durchkreuzen. Und es ist gut, dass die Gesellschaft das im Großen und Ganzen allmählich besser begreift.

Und die Arbeit an den Strafvollzugsorten hilft den Menschen, die Isolierung nicht nur leichter zu ertragen, sondern sie gibt auch vielen, vor allem den jungen Leuten, die Möglichkeit, sich an Arbeit zu gewöhnen. Um ehrlich zu sein, wissen viele von ihnen nicht, was Arbeiten bedeutet, und sind aufgrund bestimmter Umstände nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu verdienen. Übrigens, der internationale Pakt "Über bürgerliche und politische Rechte" sieht die Arbeitspflicht von Verurteilten nicht als Zwangsarbeit an. Die neue Strafvollzugsgesetzgebung in Russland hat die Forderung bewahrt, nach der jeder Verurteilte, mit Ausnahme von Personen im Rentenalter sowie Invaliden der Grippen I und II, verpflichtet werden, entsprechend ihren körperlichen und psychischen Fähigkeiten Arbeit zu leisten. Dabei stellt das Erreichen eines maximalen Gewinns für die Hauptverwaltung des Strafvollzugs nicht die wichtigste Aufgabe dar, wenngleich wir insgesamt in einer Summe von etwa w Milliarden Rubel pro Jahr produzieren. Wir entwickeln Hilfsgüter und außerbudgetäre Aktivitäten, die auf die Selbstversorgung der Kolonien mit Nahrungsmitteln ausgerichtet sind: wir ziehen Gemüse, züchten Hühner, Gänse, Schweine, Rinder.

Und es gibt noch einen Unterschied beim heutigen Strafvollzugssystem — es ist nicht mehr unzugänglich. Und das Kontingent der Verurteilten besteht aus Personen der nahegelegenen Territorien. In den Besserungskolonien der Regionshauptstadt, beispielsweise, befinden sich hauptsächlich Krasnojarsker. Heute können unsere Einrichtungen von Studierenden, Vertretern öffentlicher Organisationen, Journalisten frei besucht werden. Die Verurteilten haben die Möglichkeit, an bestimmten Tagen ihre Angehörigen zu treffen. Ich bin der Ansicht, dass auch wir davon profitiert haben, denn unsere Tätigkeit ist durchsichtiger geworden, kann von der Öffentlichkeit kontrolliert werden und wird immer flexibler.

Von der derzeit gültigen Strafgesetzgebung der Russischen Föderation ist eine Form der Strafe vorgesehen, die nicht mit Freiheitsentzug geahndet wird, sondern mit verpflichtenden Arbeitenden. Mit dem Stadtoberhaupt Pjotr Pimaschkow haben wir eine Vereinbarung über den Einsatz verurteilter Personen der vorliegenden Kategorie zur Erledigung gemeinnütziger Arbeiten auf Krasnojarsker Territorium getroffen. Einen ähnlich positiven Versuch der Zusammenarbeit gibt es bei uns mit der Norilkser Verwaltung, wo diese Menschen zur Durchführung von Notfallarbeiten sowie Arbeiten zur Verbesserung städtebaulicher Maßnahmen herangezogen werden. In der Regionshauptstadt stellen wir gegenwärtig schon Menschen für die Teilnahme an den Arbeiten zum kommunalen unitären Produktionsbetrieb „Wodokanal" bereit. Mit der Zeit könnten wir unsere beiderseitig vorteilhafte Zusammenarbeit mit der Munizipalität auch noch erheblich ausweiten.

Gute Kontakte sind auch zwischen uns und den Mitarbeitern des Arbeitsvermittlungsdienstes sowie der Sozialfürsorge zustande gekommen. Die Stadt hilft den zuvor gestrauchelten Menschen eine Arbeit zu finden und in ein normales Leben zurückzukehren. Für uns ist es ebenfalls sehr wichtig, dass sowohl die Administration der Stadt Krasnojarsk als auch der Stadtrat, in der eine bedeutende Anzahl der Deputierten aus humanitären Berufen kommen — Ärzte, Lehrkräfte, das heißt diejenigen, die mit der Seele des Menschen arbeiten, —verstehen, dass man das Höchstmögliche tun muss, damit die Leute, wenn sie wieder in die Freiheit entlassen werden, die Unterstützung der Gesellschaft empfinden und sich nicht wie Aussätzige fühlen.

Aufgezeichnet von Jewgenij KUSNEZOW.
Fotos: Jelena ABRAMOWA und Oleg KUSMIN

Chronik des KrasLag

Das KrasLag oder das Krasnojarsker Besserungs-/Arbeitslager des NKWD der UdSSR wurde im Januar 1938 geschaffen. Eine seiner Aufgaben war die Entfaltung von Holzeinschlagsarbeiten innerhalb der Region mit Hilfe von Gefangenen. Zum Mai 1945 wurden im KrasLag 16 134 Häftlinge festgehalten, 1798 "Wlassow-Leute" und 4584 "mobilisierte" Deutsche. Im Dezember 1946 und Januar 1947 kommen weitere 7073 Gefangene — "ein besonders gefährliches Sonderkontingent, die wegen Vaterlandsverrat, Terrorakten, Spionage, Sabotage, Teilnahme an antisowjetischen, faschistischen und nationalistischen Organisationen sowie wegen Bandenzugehörigkeit, bewaffneter Raubüberfälle und Fluchtversuche verurteilt worden war". Ein Teil von ihnen wird an die Kolyma und in den Norilsker Industriebezirk geschickt. Die Zahl der Häftlinge im KrasLag betrug am 18. Juni 1949 - 25787 Personen, am 1. Mai 1951 года — 28684 (darunter 4288Frauen).

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Im Zusammenhang mit der Amnestie des Jahres 1953 nahm die Zahl der Gefangenen in den Lagern rapide ab. Im September 1957 bestand das Besserungs-/Arbeitssystem der Region noch aus 22 Nebenlagern, zum August 1962 waren es lediglich noch vier. Darin waren 13889 Häftlinge untergebracht. Im Juli 1968 wird das KrasLag zur Krasnojarsker Behörde für forstwirtschaftliche Besserungs-/Arbeitseinrichtungen — die Behörde U-235.

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Die Gesamtzahl der Häftlinge innerhalb der Behörden der Hauptverwaltung für den Strafvollzug beträgt am 20. Juni 2004 – 32000 Personen (9567 von ihnen verbüßen ihre Strafe in der U- 235). Mehr als 9000 Häftlinge befinden sich in den acht Besserungs-/Arbeitskolonien innerhalb von Krasnojarsk. Sie sind in der Produktion beschäftigt, die sich mit der Verarbeitung von Holz und Metallen befasst, sowie in der Leicht- und Lebensmittelindustrie, in der Landwirtschaft. Hier beträgt die höchste relative Beschäftigung von Gefangenen in bezahlter Arbeit 69-70 Prozent. Der Arbeitstag ist streng genormt. Die im Arbeitsverhältnis stehenden Gefangenen unterliegen allen im Bereich des Arbeitsrechts geltenden Gesetzen und Vorschriften. Der Lohn der Verurteilten wird, wie bei den anderen Arbeitnehmern auch, nach einheitlichen Normen und Sätzen berechnet. Der Durchschnittslohn eines Häftlings beträgt—51 Rubel am Tag.

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Außerdem sind in den Besserungseinrichtungen der Region acht allgemeinbildende Schulen in Betrieb. In der Kansker Erziehungskolonie findet Unterricht für mehr als 1700 Verurteilte statt. Die Verurteilten können dort an neun Berufsfachschulen Kenntnisse in 14 Arbeitsfachbereichen erwerben. An der Besserungskolonie 22 gibt es eine Filiale des Krasnojarsker Bau-Technikums (17 Frauen der Kolonie erlernen dort den Friseurberuf). In der Besserungskolonie 27 ist eine Filiale der Zeitgenössischen Moskauer Humanitären Universität in Betrieb. Die Verurteilten zahlen lediglich 20 Prozent der allgemeinen Studiengebühren, den Rest gibt der Moskauer Kultur-Wohltätigkeits-Fond dazu.

„Stadt-Nachrichten“, № 82 (1133), Freitag, 23. Juli 2004


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