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RUGE Walter. «Reue» als Farce

Im Gebiet Krasnojarsk erleben wir zurzeit den bekannten Spielfilm „Reue“ von Tengis Abuladse als Farce im wirklichen Leben. Im Film wird dem vermeintlichen Diktator die letzte Ruhestätte verweigert – genau umgekehrt verweigert man ihm heute die letzte, die monumentale Ehrung.

Ein nach dem XX. Parteitag der KPdSU von Anwohnern entsorgtes Monument des Iosif Wissarianowitsch Dshugaschwili im Dorf Kureika, Kreis Turuchansk – wo Stalin während des Ersten Weltkriegs seine Verbannung verbüßte – wurde durch den krasnojarsker Unternehmer und Multimillionär Michael Ponomarjow - unter Einsatz von einer Million Rubel – wiedererrichtet. Die für den 16.September 2006 anberaumte feierliche Einweihung des Monuments konnte nicht stattfinden, da eine handfeste Einheit von Milizionären der Administration des Kreises Turuchansk beauftrag wurde das Bauwerk – diesmal „gegen den Willen der Anwohner“; man hatte ihnen ‚viele sichere Arbeitsplätze’ versprochen – umgehend wieder zu entfernen.

Gemeinsam mit meiner Frau Irina Ruge konnten wir das noch zu Lebzeiten Stalins errichtete, überdimensionale auf 400 Quadratmetern errichtete Memorial – dank Sondererlaubnis unseres Kommendanten Hauptmann Tschubenko, da über 40 Kilometer von unserem Verbannungsort Ermakowo entfernten Ort – im Juni 1954, ohne besondere Sympathieempfindungen besuchen. Wie es uns ‚ergangen’ war, wie wir gelebt hatten war noch frisch in Erinnerung; so blieb es einfach interessant zu erfahren wie ER denn hier, im damals schier unerreichbaren Gouvernement Turuchansk, gelebt hat. Der rasante Unterschied zu unseren persönlichen Erfahrungen blieb bedrückend – gewiss, wir hatten niemals die Absicht zum ‚Führer der Völker’ zu avancieren.

Ich machte bei dieser Gelegenheit auch einige Fotos – keine ‚Erinnerungsfotos, eher Fotodokumentationen – aus denen eindeutig ersichtlich ist, dass das Monument ursprünglich aus einem strahlend weißen Material gefertigt war. In der Dokumentation „Architecture Portal News: Touristisches Zentrum zum Gedenken an den Führer aller Völker“ wird fälschlicherweise von einem Bronze-Monument, das ja auf dem Foto hätte tief schwarz erscheinen müssen, berichtet. In derselben Veröffentlichung ist von einer Entfernung (Luftlinie) Krasnojarsk-Kureika von 1 8oo Kilometern die Rede; in Wirk-lichkeit dürften es nur etwa 125o Kilometer (Wasserweg etwa 1420 km) sein. Exaktheit kann auch bei einem Stalin nicht schaden.

Jetzt wurde das Monument aus Beton, andere Quellen sprechen von Gips (1 Mil-lion Rubel sind für ein so überdimensionales Werk nicht sehr viel Geld, für edles Ma-terial wären drei bis vier Millionen nötig) wieder errichtet. Der Streit mit der Administra-tion erinnert an Gogols Revisor, denn das Vorhaben war lange bekannt. Wir waren im Mai 2006 in Krasnojarsk, und dort war dieser eigentümliche, beinahe Staats-Akt bereits Tagesgespräch – in den Chefetagen der Administration anscheinend noch nicht zur Kenntnis genommen. Unentschlossenheit, das bekannte russische „avoss“ hinderte am rechtzeitigen Eingreifen.

Die Bemühungen des Bürgers Ponomarjow durch intensive Öffentlichkeitsarbeit sein Vorhaben allen ‚Interessierten’ schmackhaft zu machen, sind recht durchsichtig: Er witterte – wer könnte das nicht verstehen - ein gutes Geschäft: Er verwies zunächst auf ‚Tourismus aus Russland’, von denen, wie der Berater des Gouverneurs Eugen Paschtschenko bestätigt: „ … schon vor der Errichtung des Monuments, Touristen aus ganz Russland Interesse zeigten“. Wie man sieht, hat die Öffentlichkeitsarbeit bereits einiges bewirkt. Um einen „völlig unpolitischen Business“ kann es sich hier wohl nicht handeln, wenn doch offiziell erklärt wird es handele sich um eine „Verewigung des Gedenkens an den Führer aller Völker“. Die angeblich angestrebten ‚Besichtigungen’ von Lagern des GULag und Resten der Stalin-Eisenbahn sind auch nicht gerade geeignet diese ‚Touren’ den politischen Akzent zu nehmen – eher ist davon auszugehen, dass mögliche Gegner des Projekts aus den Reihen der ‚Memorial’-Gesellschaft beschwichtigt werden sollten. Wir waren in diesem Sommer vor Ort in Ermakowo, und konnten uns überzeugen, dass besagte ‚Besichtigungen’ leere Worthülsen bleiben müssen, denn das steile Ufer bei Ermakowo verfügt weder über eine würdige Freitreppe, noch verfügt die Jenissei-Schleife über eine Anlegestelle.

Die sibirischen Geschäftemacher befürchten zu Recht, dass die einheimischen Touristen – sei es aus mangelndem Interesse, sei es wegen knapper Kassen – nicht ausreichen würden, um dieses grandiose Projekt auszulasten, also um gewinnbrin-gende Geschäfte zu machen. So wird von ominösen „ausländischen Touristen“ geplaudert, die – wie man hört – bei Herrn Ponomarjow allerdings wegen der benötigten Gummistiefel noch nicht nachgefragt haben. Selbst ein Nicht-geschäftsmann – wie der Autor - versteht, dass dieses Projekt mit einer Tour (wie in diesem Jahr vorgesehen, aber noch nicht ausgebucht) nicht tragfähig sein kann; nur wenn im Laufe der nur viermonatigen Navigationszeit mindestens fünf dieser Ausflüge in „Zonen des Extremtourismus“ (unter Einbeziehung der Stadt Igarka mit seinem Permafrost-Museum und des Bergbaugebietes von Norilsk-Nickel – auch so Kind des GULag) stattfinden würden. Für eine derartig optimistische Prognose fehlt definitiv jegliche Grundlage.

Bei diesen mageren kommerziellen Aussichten bleibt uns nur eine recht „glitschige Situation“, wie der Stellvertreter des Gouverneurs für den Tourismus Eugen Paschtschenko eingestehen musste: Der politische Aspekt, oder wie mitunter verbrämt erklärt wird: „es gehört eben zu unser Geschichte“ - die „Verewigung“ des „Vaters der Völker“.

Der nicht sonderlich kompetente, etwas eilfertige Erbe dieses großen „Vaters der Völker“, der Erste Sekretär des Krasnojarsker Gebietskomitees der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation Genosse Wladislaw Jurtschik springt ob des Vanda-lismus der Behörden für den großen Baumeister eilfertig in die Bresche. Er hat nicht die leiseste Ahnung, wie der ‚Vandalismus’ seines Koryphäen sich bis auf den heutigen Tag auf jeden von uns auswirkt; er sollte den Flug nach Igarka nicht scheuen, um dort mit Überlebenden der Todesinsel ‚Agapitowo’ zu sprechen. Für den Genossen aus dem Gebietskomitees begann ‚Kommunismus’ mit dem Kommunisten Stalin, und endete mit dem Kommunisten Nikita Sergejewitsch Chruschtschow. Er hat einfach nie gehört, dass Kommunismus älter ist, tiefere historische Wurzeln hat. Der erste von den endgültigen Siegern der Großen Französischen Revolution 1797 hingerichtete Kommunist war ein Franzose, Francois Noel Babeuf, der erste deutsch-preußische Kommunistenprozess in Köln war 1852 – immerhin 27 Jahre vor der Geburt Stalins. Die russischen Kommunisten befinden sich mit ihrer Unfähigkeit eine reale – eine kommunistische – Einordnung des Generalissimus zu vollziehen zum Glück international in totaler Isolation. In Russland allerdings nicht, da erweisen sich jetzt die ehemaligen „Expropriateure“ und Neu-Antisemiten als die besseren Erben, als treue und Geld gebende Verbündete, die erkannt haben, dass Stalin nicht als Bolschewik, sondern als Galionsfigur für die neu aufstrebende Großmacht Russland unentbehrlich bleibt. Das geht auch aus der einzigen, wirklich treffenden Analyse der Lage durch den Vorsitzenden der Gesellschaft „Memorial“ in Krasnosjarsk, Aleksej Babij hervor, der da feststellt:

‚Es ist unwichtig, wo ein Stalin-Pantheon auftaucht – in jedem Falle ist dieses Projekt nichts anderes als Teil einer groß angelegten staatlichen Kampagne zur Rehabilitierung der Persönlichkeit Stalins’. Ich bin der Meinung, dass es sich hier um einen Teil der Öffentlichkeitskampagne handelt, die von den föderalen Behörden durchgeführt wird, um ständig Stalin, seinen Namen, seine Persönlichkeit, sein Werk zu strapazieren, zusehends öfter in Form von direkten Rechtfertigungen“.

An anderer Stelle äußert sich der Vorsitzende Aleksej Babij wie folgt:

„Es ist notwendig für 50 Jahre ein Moratorium über alle Projekte zur Verewigung ‚dieses Henkers der Völker’ zu erlassen“.

Mit diesen zutiefst richtigen Überlegungen – möchte man hinzufügen - erreicht der Sieg der Völker der Sowjet Union über die Hitlerbarbarei eine neue, eine höhere Qualität. Es war ein großartiger Sieg, errungen durch den selbstlosen Einsatz der Men-schen im Hinterland und ihrer Roten Armee an der Front, angefangen beim Marschall und bis zum gemeinen Soldaten. Diese Leiden und die Millionen Toten werden wir Roten in Deutschland niemals vergessen.

Potsdam d. 27. Oktober 2006


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