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L.O. Petri, V.T. Petri . Wahre Begebenheiten aus dem Tajmyr-Gebiet

Die Reise nach Kaliningrad

Die nächste historisch-patriotische Reise fand im Sommer 1975 statt und führte uns nach Kaliningrad (Königsberg). Viktor, der damals schon einen Füherschein besaß, und ich fuhren zu zweit. Jura Jankowitsch erwies uns seine wunderbare Hilfe, denn er verstand es, uns die entsprechende Reisegenehmigung über den Kursker Bogen, der in Litauen als Naturschutzgebiet galt, zu beschaffen. In Klaipeda setzten wir mitsamt unserem Auto auf einer Fähre zu der Stelle über, an der der Kursker Bogen seinen Anfang nimmt und wo Jura uns bereits am Grenzerhäuschen erwartete, um uns die Genehmigung auszuhändigen. Der Kursker Bogen ist in seiner Länge von 100 km ein reines Naturschutzgebiet, sowohl in puncto Pflanzen als auch im Hinblick auf die dort lebende Tierwelt. Bevor wir den Kursker Bogen durchfahren durften, mußten wir erst eine Reihe von Formularen ausfüllen und mit unserer Unterschrift bestätigen, daß wir die Verhaltensregeln im Schongebiet nicht verletzten, zu deren wichtigsten Forderungen es gehörte, daß man die asphaltierten Wege nicht verließ und sich auch nicht in die Sanddünen begab, damit das Gras nicht beschädigt wurde. Es war ein merkwürdiges Gefühl, zu beiden Seiten der Straße unberührte Graslandschaft, wilde Blumen und umherhoppelnde Hasen zu sehen, welche keinerlei Furcht vor den Menschen zeigten. Der sandige, 100-200 m breite Bogen, erstreckt sich entlang des Südufers der Ostsee. Bei starkem Seewind fängt der Sand in den Dünen an zu wandern; deswegen werden in diesem Gebiet, um dem Sand in seiner Bewegung Einhalt zu gebieten, ständig neue Büsche und andere Arten der Vegetation gepflanzt. Während der Fahrt kamen wir immer wieder an Grenzwachtürmen vorüber, und unter einem von ihnen, unweit der kleinen Stadt Nida, schlugen wir auf halbem Wege unser Nachtlager auf. Als es dunkel wurde kamen zwei Grenzsoldaten mit grünen Mützen zu uns herüber und fragten nach unseren Papieren, und nachdem sie sie überprüft hatten, erlaubten sie uns, hier in der Nachbarschaft, unter ihrer Bewachung, die Nacht im Auto zu verbringen. Sobald wir am nächsten Tag, am Ende des Bogens, das große Schild mit der Aufschrift „RSFSR“ erreicht hatten, änderte sich die Landschaft schlagartig. Peinlich für den Staat, der sich hier mit seinem Schmutz, dem Müll auf der Straße und seiner ganzen Mißwirtschaft zeigt, und durch diese ganze Unattraktivität war unsere Laune auch ziemlich schnell dahin. Auf unserem weiteren Weg nach Kaliningrad fanden wir unsere zweite Übernachtungsmöglichkeit am Ufer des Meeres, im Reich der Mücken. Es waren dermaßen viele, daß wir uns ihrer nur dadurch erwehren konnten, daß wir sie im Auto alle nacheinander totschlugen. Bei der Ankunft in Kaliningrad begegneten wir einem Motorradfahrer auf einer M-72, der seinerzeit am Krieg teilgenommen hatte und hierher gekommen war, um sich die ehemaligen Kampfesstätten noch einmal anzuschauen. Während unserer Unterhaltung erzählte er, daß „als unsere Truppen im Jahre 1944 die Staatsgrenze zu Deutschland überschritten, da gab es unter unseren Soldaten nur eine einzige Losung: „Verfluchtes Deutschland, geh’ in Flammen auf!“ – Ich kann mich noch daran erinnern“, fuhr unser Gesprächspartner fort, „wie wir in diesem Städtchen ein reiches Haus betraten, an den Wänden hingen überall Spiegel, vor den Fenstern große Samtvorhänge, und im Saal lagen die schönsten Teppiche. Wir haben aus lauter Wut und Boshaftigkeit die ganzen Spiegel zerschossen, und aus den Vorhängen haben wir Stücke herausgerissen, um daraus Fußlappen zu machen und unsere Stiefel zu putzen. Die Soldaten waren damals schwer gekränkt, als sie all den Reichtum und Überfluß sahen, denn sie wußten ja, was für ein Zerfall und Ruin gleich hinter ihrem Haus herrschte. Im wesentlichen wurde Stalins Befehl an die Rote Armee, welche die Grenze zu Deutschland überschritten hatte – der Befehl, in dem es darum ging, daß die Sowjetunion nicht gegen das deutsche Volk, sondern vielmehr gegten den Faschismus kämpfen sollte, nicht erfüllt. In den vier Kriegsjahren hatte sich in den Herzen der Soldaten so viel Kummer, aber auch menschliche Wut, angehäuft, daß jeder den Feind nach seinem eigenen Gewissen, nach seinen eigenen Racheglüsten richtete“. Der ehemalige Kriegsteilnehmer rollte auf seiner M-72 in Richtung Ostsee davon, dorthin, wo er laut seiner Erzählung damals seine ganzen Läuse am Strand zerdrückt hatte. Wir kamen in die Stadt Kaliningrad, die schon recht ordentlich aufgebaut war. Man hatte inzwischen die zur Langzeit-Verteidigung errichteten Betonschutzwälle entfernt, wenngleich die Ruinen des alten Schlosses im Zentrum der Stadt noch erhalten waren. Wir hielten uns eine Weile im Innenhof der Universität auf, wo sich in einem unterirdischen Bunker mit 12 Räumen der faschistische Stab zur Verteidigung der Stadt Königsberg befunden hatte. Die Einnahme der Stadt kostete die Rote Armee 75000 gefallene Soldaten und Offiziere. Besonders schwerwiegend war die Eroberung des 5. Verteidigungsrings der Festung mit seinen acht unterirdischen Stockwerken und den zwei Meter dicken Zwischendecken aus Eisenbeton, der erst durchbrochen werden konnte, nachdem die Soldaten während der Fahrt mit einem Ferngeschütz zweimal dasselbe Ziel, dieselbe Stelle getroffen hatten. Diese Ruine hinterließ bei uns einen überwältigenden Eindruck. Die Festung ist von allen Seiten mit einem wasserführenden Kanal umgeben. Anhand der nach dem Kriege zurückgebliebenen Zerstörungen ist ersichtlich, welchen Preis und wieviele Menschenleben das Vorrücken der Truppen gekostet haben muß. Von Kalingrad fuhren wir weiter nach Brest, das sich in den ersten Wochen des Krieges, im Jahre 1941, mit Ruhm bedeckte. Der Schriftsteller Smirnow war es, der die Helden von Brest enthüllte - unter ihnen befanden sich auch Sowjetdeutsche. Und der Kommandeur der Garnison, Major Gawrilow, wurde erst in den 1960er Jahren irgendwo im Kuban-Gebiet ausfindig gemacht und dann zum Helden der Sowjetunion ernannt. In Brest besuchten wir sämtliche Museumsobjekte und übernachteten in einem Sommerhäuschen. Und am nächsten Morgen setzten wir uns in Richtung Moskau in Bewegung. An der weißrussischen Grenze zur RSFSR bestiegen Viktor und ich den etwa 100 Meter hohen Hügel des „Ruhmes und der Freundschaft“ der beiden Völker während des Krieges. Auf dem Gipfel wurde ein Museum errichtet, in dem militärische Exponate ausgestellt sind – in Weißrußland starb aufgrund der Kriegsgeschehnisse jeder dritte Einwohner, mehr als in allen anderen Republiken des Landes. Nachdem wir uns am Lenkrad abgewechselt hatten, erreichten wir gegen 22 Uhr unsere heimatliche Garage; wir hatten an diesem einen Tag eine Strecke von mehr als 1000 km zurückgelegt.

Mit der Geburt unserer Enkelin Julia im Jahre 1976 kam die Frage auf, ob wir uns ein Sommerdomizil suchen sollten, eine Datscha, die wir sehr gerne kaufen wollten. Zu der Zeit wurde in der Verwaltung für Elektromontagen gerade durch deren Leiter I.T. Trifonow und die Oberbuchhalterin V.T. Petri für das dort arbeitende Kollektiv ein „Erholungszentrum“ organisiert, bei dem es sich um das Gebäude der ehemaligen, einstöckigen, ganz aus Holz gebauten Dorfschule handelte, ein Haus mit vier Zimmern und einem Baderaum. Jeden Freitag nach der Arbeit fuhr vom Verwaltungssitz (auf dem Arbat) ein Bus bis nach Pawlow Posad,und von dort weiter in Richtung Kaljasina; die Entfernung dorthin betrug etwa 120 km. Wir bekamen in einem separaten Haus für Julia, Galja und die Großmutter (Antonina Petrowna) ein großes Zimmer mit Küche zugeteilt. Im großen Haus gab es außer den Wohnzimmern noch einen großen Billardsaal mit Farbfernseher. An den Samstagen war Badetag mit anschließendem Dampfbad. Das Erholungszentrum lag gleich neben dem Wald mit seinen zahlreichen Beeren und Pilzen. Jeden Freitag fuhren wir mit unserem Auto dorthin, um mit Julia zusammen zu sein, die immer schon sehnsüchtig auf uns wartete und uns gegen Abend auf der Straße entgegen lief. Man muß hinzufügen, dass dieser Erholungsort im Leben unserer beiden Familien (Petri und Semjonow) in Julias und Galjas frühen Kinderjahren bei deren Erziehung eine große Rolle spielte. Antonina Petrowna drückte es Witja gegenüber so aus: „Das waren die glücklichsten Jahre meines Lebens!“ Und dem kann man Glauben schenken, denn Witja konnte immer nur Gutes tun – egal, ob es ihre eigenen Verwandten oder andere Leute waren. Unter den Ortsbewohnern organisierte sie eine hervorragend funktionierende Versorgung der beiden Kinder und der Großmama mit allen frischen Lebensmitteln; sie lebten in der Umgebung der wunderschönen Moskauer Natur.


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