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L.O. Petri, V.T. Petri . Wahre Begebenheiten aus dem Tajmyr-Gebiet

Umzug nach Astrachan.

Nach der Ermordung Kirows war die Situation im Lande äußerst angespannt. Meine Eltern beschlossen erneut, „von dem Elend ein wenig weiter fortzuziehen“, den Wohnort zu wechseln. Die Wolga zog uns an.

Und da befinden wir uns auch schon in der Stadt Astrachan, zu einem Zeitpunkt übrigens, als ich mich dem Alter näherte, in dem man in die erste Klasse eingeschult wird. Da es nicht möglich war, eine staatliche Wohnung zu bekommen, heuerte Papa einen Makler an, der tatsächlich für uns ein Haus gegenüber den Piwzows, in der Herzengasse 5, fand. Das Haus verfügte über einen ziemlich großen Hof, eine Toilette im Hof sowie einen hölzernen Schuppen. Mein Papa war ein großer, leidenschaftlicher Jäger und Fischer. Jeden freien Tag verbrachten wir in der Natur – an der Wolga, an den Flüssen nahe des Kaspischen Meeres.

Anläßlich einer seiner Dienstreisen brachte Papa mir aus Moskau einen Metallbaukasten der Marke „Konstruktor“ mit, und von diesem Augenblick an begann ich mich für kreatives Schaffen und für die „Wissenschaft“ zu interessieren: ich baute im Haus eine elektrische Eisenbahn mit einer selbstgebastelten elektrischen Zugmaschine auf, konstruierte einen kleinen elektrisch betriebenen Apparat, mit dem man den geborstenen Rahmen des Fahrrades mittels Kupferdraht schweißen konnte, eine Zwei-Zylinder-Dampfmaschine mit Wasserrohrkessel (dazu diente eine dickwandige, 1,5-Liter-Blechdose, in der sich einmal Ölfarbe befunden hatte, und als Brennmaterial – denaturierter Spiritus), und die Zylinder bestanden aus zwei bronzenen Jagdpatronen vom Kaliber 12. Als Lehrliteratur war damals unter den jungen Leuten die Zeitschrift „Wissen ist Macht“ sehr populär.

Jede Woche ging ich mit Papa ins Badehaus, das sich gleich um die Ecke befand. Eine seiner Gebäudeecken lag zu einem guten Viertel des Blocks in unserem Hofbereich.Das Badehaus stammte noch aus der Zarenzeit und bestand aus zwei Sektionen und getrennten Baderäumen. Papa benutzte stets nur seine emaillierte Waschschüssel, denn er ekelte sich vor den Gemeinschaftskübeln. Jeder Besucher durfte einen Schrank für seine Kleidung einnehmen, der dann vom Bademeister zugesperrt wurde. Ins Dampfbad ging Papa nur, um sich aufzuwärmen, aber das Schlagen mit den Birkenruten machte er nicht mit. Wir wuschen und schrubbten uns jeweils zweimal gegenseitig den Rücken, wobei die gesamte Badeprozedur im Durchschnitt eine Stunde dauerte.

1937 wurde in Astrachan im Gebäude des ehemaligen Holzindustriellen Gubin der städtische Pionierpalast eröffnet. Damals war das ein großartiges Geschenk für die Schüler. Das Gebäude befand sich nämlich in einer vornehmen Gegend im Zentrum der Stadt – an der Strelka, wo der Fluß Kutum in die Wolga fließt, aber das Wichtigste war, dass dieses dreigeschossige, riesige Gebäude über eine herrliche Innen- und Außenarchitektur verfügte. Ich kann mich noch an die wunderschönen, schweren, vor den hohen Fenstern hängenden Vorhänge und die samtbeschlagenen Geländer der Treppen mit den niedrigen Stufen erinnern. Im Foyer war ununterbrochen ein Springbrunnen in Betrieb, der mit schönen Skulpturen geschmückt war.


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