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L.O. Petri, V.T. Petri . Wahre Begebenheiten aus dem Tajmyr-Gebiet

Zeugenaussage der Uljumdschi Chan (Badmajewa, geb. 1924)

Ich wurde in der Kalmückischen ASSR geboren und stamme aus dem Dorf Konakowo (Wolgagebiet), Region Astrachan. Mama ist gestorben, als ich 6 Jahre alt war. Da mußte Papa mit mir, meiner Schwester und den beiden Brüdern allein fertig werden. Vater war Fischer und häufig krank. Um ihm zu helfen, habe ich die Schule verlassen und angefangen, in der Kolchose zu arbeiten. Bald darauf beförderten sie mich zur Leiterin des Standesamts. In der letzten Dezemberdekade 1943 mußten sich alle Mitarbeiter versammeln, und man las ihnen den Ukas über die Aussiedlung der Kalmücken aus der Republik vor. Zum Packen ließen sie uns nicht einmal einen Tag Zeit. Die Menschen wurden mitten in der Nacht im Halbschlaf abtransportiert. Niemand begriff, was hier vor sich ging. Der Transport verlief über die neue Wolgabrücke, und in Astrachan wurden alle in Güterwaggons verladen und gen Osten geschickt. Die Bahnlinie war vollkommen überfüllt – Züge mit Soldaten waren ebenfalls unterwegs, und so mußte unser Zug immer wieder anhalten. Ich und mein Schwesterchen fuhren zusammen mit der Familie meines Onkels, denn Vater war 10 Tage nach der Aussiedlung gestorben, und die Brüder galten an der Front als verschollen.... Im Juni1944 wurden 45 Kalmücken-Familien zum Fischfang ins Tajmyr-Gebiet verschleppt. Einige von ihnen gerieten nach Karaul, andere blieben in Dudinka. Ich fand eine Arbeit als Lastträgerin an der Umschlagsstation des Staatlichen Tajmyrer Fischfang-Betriebs. Tag und Nacht mußten wir arbeiten. Bis zum Einsetzen der Kälte lebten wir in Segeltuchzelten. Die Menschen starben im Gehen aufgrund von Hunger und wegen des ungewohnten Klimas. 1946 starb meine Schwester, als sie gerade erst 19 Jahre alt war. Wieviele Menschen damals nur umgekommen sind! Und weshalb? Wer hat davon irgendeinen Nutzen gehabt? Ich weiß nicht, wessen mein Volk sich schuldig gemacht hat... Ich weiß noch, wie vor unserer Aussiedlung Waggons mit Soldaten in dem Bezirk eintrafen, in dem wir wohnten. Man er klärte uns, daß die Armee zur Erholung untergebracht werden sollte, aber es stellte sich heraus, daß die Militärpersonen hergekommen waren, um uns auszusiedeln.. Ich denke, daß, wenn die Soldaten sich nicht mit unserer Aussiedlung befaßt hätten, sondern stattdessen in den Krieg gezogen wären –der Krieg viel schneller zuende gewesen wäre. Und sie haben ja nicht nur uns ausgesiedelt. Und wieviele Leute waren damit beschäftigt?!

Bis 1956 konnte ich von Sibirien aus nirgends hinfahren. Ich habe das als sehr kränkend empfunden. Mein Ehemann fuhr in Urlaub und ich – nicht. Er – das ist Tichon Petrowitsch Chan, Koreaner. Er lebte im Fernen Osten. Vor dem Krieg geriet er mit einigen anderen Koreanern als Gefangener in die Lageraußenstelle Dudinka des Norilsker Arbeits- und Erziehungslagers. Er arbeitete im Hafen von Dudinka. 1941-1942 wurde er aus dem Lager entlassen und begann im Forstrevier im Hafen als Vorarbeiter zu arbeiten. Mein Mann starb 1958. Die Kinder mußte ich allein großziehen. Ganz anders wäre unser Schicksal in der Heimat verlaufen, wenn wir nicht in die Verbannung geschickt worden wären. Und wozu, für wen war das alles nützlich?

 


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