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Das GULAG-System auf Tschernogorsker Territorium

Das System der Besserungs-/Arbeitslager des N KWD der UdSSR der Stadt Tschernogorsk begann sich 1942 zu formieren, zum Jahr 1953 gab es in der Stadt elf Lager mit unterschiedlichen Haftbedingungen für die Gefangenen.

Einsam und verloren in den endlosen Steppen Chakassiens wurde Tschernogorsk zu einer riesigen internationslern Lagerzone. Unter Berücksichtigung der geographischen Lage der Stadt, der klimatischen Besonderheiten der Region und der Ressourcen an nützlichen Mineralien, wurde von der Regierung der UdSSR beschlossen, auf dem Territorium Tschernogorsks einen Rüstungsindustrie-Komplex zu schaffen. Man hegte die Absicht, diesen eng mit dem im Bau befindlichen militärischen Rüstungs-Komplex im Süden der Region Krasnojarsk zu verbinden. Für den Entscheid über eine derart strategische Aufgabe waren viele arbeitende Hände erforderlich. Zu diesem Zweck fuhren in Chakassien Tag und Nacht Züge mit Häftlingen, mit kostenlosen Arbeitskräften. Sie waren es, die mit ihren eigenen Händen den Beschluss von Partei und Regierung verwirklichen sollten.

Das erste Besserungs-/Arbeitslager in Tschernogorsk war für Häftlinge bestimmt, die eine Haftstrafe wegen Straf- und Alltagsdelikten verbüßt hatten, aber auch für sogenannte „Ukasniks“, Menschen, die nach dem Ukas vom 07.08.1932 von der Regierung der UdSSR verurteilt worden waren – weil sie auf dem Feld die Ähren von Getreide-Kulturen aufgesammelt hatten. Bis 1944 war es ein gewöhnliches Besserungs-/Arbeitslager.

Am 8. Juni 1944 traf in der Stadt der erste Zug mit politischen Gefangenen ein. Diese Leute waren von einer Sondersitzung des NKWD der UdSSR nach §§ 58-10 und 54-1a verurteilt worden. (Die Dauer des Freiheitsentzugs bei politischen Paragraphen betrug zwischen 5 und 25 Jahre). Im Lager trafen Vertreter unterschiedlicher Nationalitäten ein, die auf dem Territorium der UdSSR lebten: Weißrussen, Ukrainer, Deutsche (deren Vorfahren sich in Russland bereits zu Zeiten Katharinas II niedergelassen hatten), Polen, Koreaner, Finnen, Letten, Esten, Litauer…

Zum gewöhnlichen Besserungs-/Arbeitslager wurde das Sonderlager N° 288/5. Das Haftregime wurde verschärft. Nach und nach wurden die Kriminellen und Alltagsverbrecher in andere Lager verlegt, die sich in der Stadt befanden.

Das Sonderlager war im Talkessel, neben dem Schacht N° 7 gelegen. Sein Gelände war von einem doppelten, drei Meter hohen Zaun umgeben, den man von oben in drei Reihen mit Stacheldraht bespannt hatte. Acht Wachtürme mit Wachsoldaten. Ein Kontroll- und Durchgangspunkt. Nachts war das Lager von grellem Scheinwerferlicht angestrahlt.

„Herzlich willkommen!“ – diese Begrüßung, die auf ein Brett geschrieben war, leuchtete über den Tor den ins Sonderlager gebrachten Häftlingen entgegen. Die Gefangenen-Etappen trafen mit der Eisenbahn, in Stolypin-Waggons, an der Station Tschernogorskie Kopi ein. Und von dort trieben sie die Häftlinge zu Fuß drei Kilometer weit ins Lager. Das Sonderkontingent wurde von NKWD-Soldaten mit Schäferhunden bewacht, die mit Gewehren ausgerüstet waren – und nach 1945 mit Automatikgewehren.

In unterschiedlichen Jahren zählte man auf dem Territorium des Sonderlagers zwischen 6 und 12 Baracken. Das Gelände wurde von Gefangenen bebaut und hergerichtet. Die Baracken waren groß, jeweils 25 Meter lang, aus Holz gebaut, eingeschossig. In den Baracken standen Pritschen in zwei Etagen, es gab vier matt schimmernde Glühbirnen, die während der Nacht nicht ausgeschaltet wurden. Die größte Baracke – N° 6 – war für Alte und Kranke und Menschen mit Unterernährung vorgesehen. Dort waren bis zu 300 Personen untergebracht. Die übrigen Baracken waren in Blocks unterteilt, von denen jeder über seinen eigenen Eingang verfügte. In den Blocks lebten die Leute in Brigaden – zu je 30-40 Mann. Die Häftlinge sollten spezielle Kleidung tragen. Nach 1947 allerdings erlaubte man ihnen bei Außenarbeiten ihre eigenen Sachen anzuziehen, sofern sie welche besaßen.

Außerdem gab es auf dem Lagergelände: eine Bäckerei, ein zweistöckiges Badehaus (mit Dampf-Infektion für die Wäsche), eine Kantine (in demselben Gebäude befanden ich auch der Klub und die Bibliothek), eine medizinische Station, eine Krankenabteilung, ein Krankenhaus, eine Leichenhalle und den Karzer.

Zum Jahr 1947verwandelt sich das Territorium des Sonderlagers in eine Mini-Stadt mit Arbeits- und Erholungszone. Das Gelände wird komfortabel ausgestattet, es werden Blumenbeete angelegt, Bäume gepflanzt. 1948 gehen eine Näherei, eine Schusterwerkstatt, eine Tischlerwerkstatt, eine Schlosserei, eine Produktionsstätte für künstliche Blumen und Spielzeug, ein Treibhaus, ein Friseurladen sowie ein Projekt- und Budget-Büro in Betrieb. In der Erholungszone entstanden Springbrunnen, Schiffsschaukeln, ein Riesenrad, ein Tanzplatz, ein Raum für Produktionsbestarbeiter sowie ein Präventorium für ansteckungsgefährdete Menschen (Gefangene, die sich dort befanden brauchten zwei Wochen lang nicht arbeiten und wurden dort besser verpflegt). Anfang 1950 entstand ein Säuglingsheim.

Die Häftlinge wurden bei den schwierigsten und schmutzigsten Arbeiten eingesetzt, sie arbeiteten in den Schachtanlagen N° 13 und N° 15 jeweils zwölf Stunden am Tag, aber mitunter auch 14-16 Stunden, ohne freie Tage und Feiertage. Die Stollen, in denen die Gefangenen schufteten, waren von Stacheldrahtzäunen umgeben, an den Ecken befanden sich Wachtürme. In jenen Jahren wurden die Arbeiten in den Bergwerken vorwiegend mit der Hand erledigt, die Mechanisierung kam erst viel später. (Elektroloks und Pumpen, die das Wasser abpumpten, kamen zunächst in den Stollen auf, in denen freie Bergleute tätig waren). Lediglich ein Pferd war den Häftlingen dabei behilflich, die mit Kohle gefüllten Loren zu ziehen. Die Abbaufronten waren sehr eng und niedrig, die Leute mussten bis zu den Knien im Wasser arbeiten, und auch von oben tropfte ständig Wasser auf sie herab … Die zeltstoffartige Kleidung vermoderte innerhalb eines Monats. Häufig waren Überstunden zu leisten, man verlangte eine Übererfüllung des Plansolls für die Kohleförderung auf 200 oder gar 300 Prozent. Dafür wurden zusätzliche Verpflegungsrationen ausgegeben. Außerdem war es gestattet, in einem Zimmer mit einigermaßen erträglichen Bedingungen zu leben. Neben Bett und Hocker standen einem eine Matratze, ein Kissen und richtige Bettwäsche zu.

Zur Arbeit und zurück wurden die Häftlinge in Kolonnen zu jeweils fünf Mann pro Reihe geführt, und zwar unter der Begleitung von bewaffneten Wachsoldaten und Hunden. Während des An- und Abmarschs war es verboten zu sprechen und innerhalb der Fünferreihen zu wechseln. Die Wachleute schossen ohne Vorwarnung. Wenn ihnen irgendetwas nicht passte, befahlen sie den Gefangenen, sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden zu legen.

Wie sah es mit der Verpflegung der Häftlinge aus? Darüber soll etwas detaillierter berichtet werden. 1944 erhielten die Gefangenen: 1) rostfarbenen Hering ohne Brot (wenn sie den gegessen hatten, plagte die Leute ständiger Durst, aber das Wasser wurde angeliefert und war von schlechter Qualität, so dass viele Lagerinsassen an Ruhr starben; 2) Graupensuppe; 3) gefrorene Runkelrüben; 4) Steckrüben; 5) Hafer- oder Weizengrütze (gab es nur an Feiertagen); 6) gefrorene Kartoffeln, ungeschält; 7) verfaulter, gesalzener Kohl; 8) verdorbene, stinkende Flundern; 9) ungewaschene Eingeweide von großem Hornvieh, mit Fäkalien durchsetzt (daraus wurde Suppe gekocht); 10) Brotration (einmal am Tag): 1944 – 450 g Brot, 1947 – 250-300 g (das war das schlimmste Hungerjahr für die Häftlinge des Sonderlagers), 1950 – 1 kg (für diejenigen, die das Plansoll für die Kohleförderung übererfüllten), 1 kg, 200 g – für die Arbeiter an der Abbaufront, 600-800g für diejenigen, die über Tage tätig waren; 11) Bärlauch und ein Sud aus Kiefernnadeln (damit bewahrten sie sich vor Skorbut und Geschwüren).

Lagerwache und Haftregime wurden von Soldaten des NKWD mit befristetem Dienst realisiert. Die Division befand sich gleich hinter dem Lager, auf dem Territorium der Schachtsiedlung N° 7. Die gewöhnlichen Soldaten wohnten in Baracken, der Offiziersstab in separaten Häusern. Auf dem Divisionsgelände hatten sie ihren eigene medizinische und Sanitätsabteilung, eine Kantine, einen Pferdestall und Gehege für die Schäferhunde. Der zahlenmäßige Bestand der Division schwankte in Abhängigkeit von der Anzahl der Häftlinge und der Schwere des Paragraphen, nach dem sie verurteilt worden waren.

1944 nahm ein „Filtrationslager“ für neu eingetroffenen Häftlinge seinen Betrieb auf. Von dort wurden sie dann auf die verschiedenen Lager verteilt. Ab 1947 ist in der Stadt die Vorbereitung für neue Lagerzonen für die Aufnahme einer großen Anzahl Gefangener im Gange – sie stand mit dem Beginn des Baus der Petrochemischen Fabrik zur Herstellung von Benzin in Zusammenhang. In der Stadt wurde die „Tschernogorsker Sonderbau-Verwaltung“ gegründet, die für den Bau der geheimen Fabrik N° 2 verantwortlich war. Diese Fabrik hatte man im Rahmen der Reparationen aus Deutschland erhalten. Sie sollte ein riesiges Territorium einnehmen.

1951 waren von Häftlingen die Lager N° 1, N° 3, N° 4b bevölkert – mit folgenden Lager-Außenstellen:

- Lager-Außenstelle N° 1 mit einer Häftlingszahl von 3300 bis 5000;
- Lager-Außenstelle N° 2 für 3300 bis 5000 Gefangene;
- Lager-Außenstelle N° 3 für 1100 bis 1500 Insassen;
-Lager-Außenstelle N° 4 für 500 bis 1000 Häftlinge;
-Lager-Außenstelle N° 5 für 500 bis 1000 Gefangene.

Lagerpunkt an der Lager-Außenstelle N° 1 mit 200 bis 500 Gefangenen. Es entstand ein separates Lager in der Nähe der Ziegelfabrik für 1500 Mann.

Im Zeitraum 1951-1952 wurden allein für das „Tschernogorsker Erdöl-Sonderprojekt“ zur Sicherstellung des Baus der Fabrik N° 2 insgesamt 14000 Häftlinge getrieben. Unter ihnen befanden sich sowohl Menschen, die nach politischen Paragraphen verurteilt worden waren, als auch Alltagsgauner und Kriminelle, aber ihre Zahl war erheblich geringer, als die der politischen Gefangenen. (In Tschernogorsk selber lebten damals nicht mehr als 15000 Menschen).

Das „Tschernogorsker Erdöl-Sonderbau“ wurde 1953 aufgelöst. Die Werksausstattung für die Fabrik N° 2 wurde nach Angarsk abtransportiert, wo die Chemiefabrik eine Fläche von 28 Quadrat-Kilometern einnahm. Die Lager N! 1, N° 3 und N° 4 gingen in die Zuständigkeit das „Jenisej-Bauprojekts“ beim MWD der UdSSR über.

Es entstand das Lager „DS-8“ zur Gewährleistung des Baus der Metallhütte in Tschernogorsk. In diesem Lager befanden sich ausschließlich politische Gefangene – Offiziere der Sowjet-Armee, die im Großen Vaterländischen Krieg an den Fronten gekämpft hatten. Si hatten als nach § 58-1b und 58-10 Verurteilte jeweils 25 Jahre Besserungs- / Arbeitslager aufgebrummt bekommen sowie den Entzug aller Rechte für die Dauer von 5 Jahren.

In Tschernogorsk befand sich das „Siblag“ für inhaftierte Tuwinen, Kalmücken, Baschkiren. In der Schachtarbeiter-Stadt verbüßten Karatschewo-Tscherkessen, Tschetschenen, Inguschen und Krim-Tataren ihre Strafen, separate Lagerzonen für ihre Haltung gab es nicht.

Neben einem ganzen Netz an Lagern für Landsleute ging 1945 in Tschernogorsk das Lager N° 33 für japanische Kriegsgefangene in Betrieb. Ihre Bewachung erfolgte durch die inneren Truppen des NKWD.

Im Jahre 1955 wurde das Tschernogorsker Lagersystem aufgelöst.

Jelena Laktionowa
Tschernogorsk

Buch der Erinnerung an die Opfer politischer Repressionen in der Republik Chakassien. Bd 2.
Republik Chakassien, 2000


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