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J.A. Franz. Die Deutschen in der Region Krasnojarsk im ersten Nachkriegsjahrzehnt (einige Aspekte der demografischen und sozialökonomischen Entwicklung)

Die vorliegende Arbeit ist einerseits den wenig erforschten Fragen der Geschichte der Sowjetdeutschen, andererseits der Region Krasnojarsk gewidmet.

Mehrere zehntausend deportierte Deutsche, die während des Krieges und auch danach in die Region Krasnojarsk gerieten, waren geholt worden, um unter anderem das Defizit an Arbeitskräften in der Region auszugleichen. Gewissenhaft und diszipliniert erfüllten sie ihre «Mission» über viele Jahre und waren harmonisch ins wirtschaftliche, gesellschaftspolitische und kulturelle Leben der Region einbezogen. Mit fleißiger Arbeit und ruinierter Gesundheit versuchten die Deutschen ihre Unschuld an den frei erfundenen Verbrechen zu beweisen und sich die Achtung der Behörden und Ortsbewohner zu erkämpfen, ohne die Hoffnung auf eine Rückkehr an ihre bisherigen Wohnorte zu verlieren. Ein Rückblick auf 70 Jahre gestattet es, eine allgemeine Vorstellung von der sozialökonomischen Lage der Deutschen im ersten Nachkriegsjahrzehnt zu bekommen und ihren Beitrag zur wirtschaftlichen Erschließung der Region zu bewerten.

Die Hauptquelle der Studien basierte auf Materialien, die aus dem russischen Staatsarchiv für Ökonomie sowie dem Staatsarchiv der Region Krasnojarsk herangezogen wurden. Zweitens gibt es die Ergebnisse der All-Unions-Volkszählung des Jahres 1959, in der sich Informationen über die Anzahl, die Berufszusammensetzung und das Bildungsniveau der Deutschen finden. Drittens wurden Dokumente des Krasnojarsker Regionskomitees der KPdSU hinzugezogen, vorgestellt in Form von Rechenschaftsberichten, Bescheinigungen, Schriftwechsel mit den Stadt- und Bezirkskomitees der Region über die Situation der Sondersiedler und die Arbeit mit ihnen. Und letztendlich wurden als Quellen noch Wirtschaftsbücher verwendet, die als Dokumente der primären administrativen Registrierung der Landbevölkerung in Erscheinung traten.

Die Region Krasnojarsk war die viertgrößte Region Russlands, in der Deutsche lebten. Nach der Volkszählung von 1959 waren es 66700 Personen, darunter 49300 in ländlichen Gegenden und 17400 in Städten. Die demografische Struktur der Deutschen verdiente eine hohe Wertschätzung vom Standpunkt der wirtschaftlichen Interessen gesehen (Tab. 1) [6. Bl. 105, 116, 127]. Der Anteil an Personen im arbeitsfähigen Alter unter ihnen machte 58,8 % aus, ein Prozentsatz beinahe so groß wie die allgemeine regionale Kennziffer (58,3 %). ´Doch die meisten von ihnen (64,8 %) befanden sich in einem Alter bis zu 35 Jahren, was von einer hohen Qualität der Deutschen als Arbeitsressource zeugte. Es ist bekannt, dass Personen im genannten Alter über ein höheres Bildungsniveau, eine größere soziale Mobilität und bessere Adaptationsfähigkeiten für neue Arbeitsbedingungen usw. verfügen als die ältere Generation.

Òabelle 1. Altersstruktur der Deutschen in der Region Krasnojarsk 1959 in %

Alter Gesamtbevölkerung Stadtbevölkerung Landbevölkerung
Gesamtbevölkerung, darunter: 100 100 100
junge Menschen im arbeitsfähigen
Alter
32,7  25,3  35,6
im arbeitsfähigen
Alter
58,8 65,6 55,8
Älter als im arbeitsfähigen
Alter
 8,8 9,1 8,6

Der Anteil der Personen im Rentenalter (8,8 %) war bei den Deutschen niedriger als bei den anderen Völkern. Das verringerte die wirtschaftliche Belastung auf die arbeitsfähige Bevölkerung und reduzierte die Ausgaben für den Unterhalt der Menschen in fortgeschrittenem Alter. Auf 1000 Deutsche im arbeitsfähigen Alter kamen 559 Kinder und nur 150 alte Leute. Der hohe Anteil Kinder (32,7 %) bestätigte die demografische «Jugend» der Volksgruppe und versprach gute Aussichten, denn, in den kommenden 15–20 Jahren sollte eine zahlenmäßig große junge Generation ins arbeitsfähige Alter kommen.

Die schweren Schicksalsherausforderungen, die auf das Los der Sowjetmenschen entfielen, führten unausweichlich zu einer frühen sozialen Reifung der Kinder. Dadurch waren sie gezwungen das Lernen aufzugeben und in der Produktion arbeiten zu gehen, die Last der Verantwortung für die Ernährung der Familie auf sich zu nehmen, die jüngeren Geschwister zu erziehen usw. Die Situation der Deutschen verschlimmerte sich durch die Deportation und deren Folgen. Das verursachte für mehrere Generationen ungleiche Bedingungen in der Bildung. hervor. Die überwiegende Mehrheit der deutschen Kinder hatten keine Möglichkeit die Schule zu besuchen. Die Gründe waren – Unkenntnis der russischen Sprache, weil sie zuvor an ihren nationalen Schulen in ihrer Muttersprache unterrichtet worden waren, die elende Lage der ohne Besitz und finanzielle Mittel zurückgelassenen deutschen Familien, für die die allererste Aufgabe die Eingewöhnung und das physische Überleben unter den neuen Bedingungen war.

Eine der tragischsten Seiten in der Geschichte der Volksgruppe waren die Arbeitsmobilisierungen, als deren Folge tausende Familien auseinanderfielen, die Kinder zu Waisen wurden, obwohl sie Eltern hatten, weil sie in die Obhut älterer Verwandten oder Kolchosen gegeben werden mussten und dann selbst als 15–16-jährige Halbwüchsige zusammen mit den Erwachsenen auf Zwangsarbeit geschickt wurden. Somit war es unmöglich, an eine Fortsetzung der Ausbildung auch nur zu denken.

Formell wurde den Deutschen das Recht auf höhere und mittlere Fachausbildung nicht entzogen. Allerdings durften die meisten von ihnen sich wegen des Verbots ihren Sondersiedlungsort zu verlassen nicht an Universitäten oder am Technikum einschreiben. Eine derartige Praxis herrschte jedoch nicht überall und wurde oft durch die persönliche Beziehung des Kommandanten zum Sondersiedler definiert. Unter die direkte Wirkung der oben genannten Faktoren gerieten die Deutschen, die im Alter von 17 Jahren und jünger in die Region deportiert worden waren (geboren 1924 und später). Ihr Bildungspotential wurde unterwandert, infolgedessen war einer der wichtigsten sozialen Aufzüge für sie versperrt.

Eine Vorstellung von den Lernergebnissen der Deutschen in der Nachkriegszeit, ausgedrückt in Kennzahlen ihres Bildungsniveaus, geben die Materialien aus der Volkszählung des Jahres 1959. Leider gelang es nicht, diese Informationen in den Beständen des russischen Staatsarchivs der Ökonomie und des Staatsarchivs der Region Krasnojarsk ausfindig zu machen. Die vorliegenden Charakteristiken wurden lediglich für die deutsche Bevölkerung im Autonomen Gebiet Chakassien erarbeitet, wo ein Sechstel aller Deutschen der Region lebte. Ein ähnliches Siedlungsmuster, das niedrige Niveau der Urbanisierung gestatten die Vermutung, dass die Entwicklungstendenz der Deutschen in Chakassien genauso verlief, wie im übrigen Territorium der Region, so dass man sich am Beispiel der «chakassischen» Deutschen die Situation insgesamt vorstellen kann.

Die meisten der in der Volkszählung berücksichtigten 10–19-jährigen Deutschen wurden in der Region Krasnojarsk geboren und besuchten hier die Schule. Die Volkszählung erfasste sie im Schul- und Studentenalter, deswegen können die Ergebnisse nicht als endgültig angesehen werden. Im Moment der Volkszählung verfügte unter den jungen Menschen zwischen 15 und 19 Jahren die Hälfte über eine Grundschulausbildung, ein Drittel hatte die Siebenklassenschule absolviert, ein Sechstel ging zur Grund- oder Mittelschule (Tab. 2) [7. Bl. 169–252].

Tabelle 2. Bildungsniveau der deutschen Bevölkerung in Chakassien im Jahr 1959 in %

Alter in Jahren Gesamt Vorhandene Bildung  Keine Grundschulbildung
Höhere und nicht beendete höhere Bildung Mittlere Fach-Ausbildung Allgem. mittlere Nicht beendete mittlereAusbildung und Sieben-Klassen-Schule Nicht beendete Sieben-Klassen-Schule und Grund-schule Lese- und schreib-fähig Analphabeten
10–14 100 0,6 32,6 66,4 0,4
15–19 100 0,2 4,4 33,4 50,2 10,6 1,2
20–24 100 1,0 3,1 2,8 20,2  53,3 17,0 2,6
25–29 100 4,2 0,7 2,8 0,7 6,8 39,1 45,7
30–34 100 1,4 1,3 1,5 19,0 57,8 17,4 1,6
35–39 100 3,5 4,6 7,3 22,3 39,1 20,8 2,4
40–44 100 4,3 4,1 1,7 9,7 36,9 35,8 7,5
45–49 100 2,5 2,9 1,5 5,1 26,0 49,9  12,
50–59 100 3,5 2,2 2,7 5,9 31,9 41,7 12,1
60 und älter  100 1,9 1,2 3,4 6,0 27,8 43,1 16,6
Insgesamt im Alter von 10 Jahren und älter 100 1,7 2,2 2,5  13,8 41,4 32,5 5,9

Die 20–24 Jahre alten Deutschen (geboren zwischen 1934 und 1938) wurden aus ihren vorherigen Wohnorten im Vorschulalter ausgesiedelt. Mehr als die Hälfte von ihnen konnte keine höhere Schulbildung als die Grundschule absolvieren, ein Fünftel – noch nicht einmal die Grundschule. In einer noch viel verletzlicheren Lage befanden sich die Kohorten mit den 25–29-Jaährigen (geboren zwischen 1929 und 1933), die im Alter von 8–12 Jahren in die Region Krasnojarsk kamen. Ihre Schulzeit fiel in die Kriegsjahre. Die Hälfte von ihnen erhielt keine Grundschulbildung, mehr als ein Drittel – besuchte nur die Grundschule. Der Anteil der Person, die eine Sieben-Klassen-Schule abgeschlossen hatten, betrug insgesamt 6,8 % - das ist dreimal niedriger als die allgemeinen regionalen Indikatoren. [1]. Eine Zwischenposition zwischen den beiden benachbarten Altersgruppen nahmen die 30–34-jährigen Deutschen ein. Unter ihnen befand sich ein höherer Anteil von Menschen mit Grundschulbildung (57,8 %), aber der Anteil derer, die eine Berufsausbildung gemacht hatten, war niedriger als in den älteren Altersgruppen (2,7 %). Eine Gegenüberstellung des Bildungsniveaus der Deutschen und der Einwohner der Region, die 1924 oder später geboren wurden, lässt mehrere Schlussfolgerungen zu: 1. Der Anteil der Deutschen, die über keine Grundschulbildung verfügten, unter anderem der Analphabeten, lag dreimal höher als der Durchschnitt in der Region. Es ist offensichtlich, dass ein derartiger Bruch im Bildungsniveau durch die Folgen der Deportation bedingt ist. 2. Der Anteil der Deutschen, die eine höhere oder mittlere Fachausbildung erhielten, war bedeutend niedriger als im Regionsdurchschnitt: insgesamt 1,0 und 2,4 % der Deutschen absolvierte eine Universität oder ein Technikum, während es unter den Einwohnern der Region – 3,7 und 8,0 % waren. Eine Berufsausbildung blieb nach wie vor für Deutsche unerreichbar, für die meisten Vertreter anderer Nationalitäten war sie ebenfalls kaum zugänglich. Aus Sicht der volkswirtschaftlichen Interessen ist dies ein äußerst ungünstiger Indikator.
Um zu verstehen, was für einen Schaden im Bereich der Bildung die Deportation für die Deutschen mit sich brachte, muss man das Bildungsniveau der Deutschen und der Regionsbewohner analysieren und miteinander vergleichen, die vor dem Krieg Lehreinrichtungen besucht hatten (geboren 1923 und früher). Die 35-39-jährigen Deutschen erhielten an ihren vorherigen Wohnorten eine Schulbildung, und die Ergebnisse sahen folgendermaßen aus: 39,1 % absolvierten die Grundschule, 22,3 – die Sieben-Klassen-Schule, 7,3 – die Oberschule. Diplome über eine sekundäre Fachausbildung besaßen 4,6, über eine höhere – 3,5 % der Deutschen. Viele von ihnen brachen mit Ausbruch des Krieges ihre Ausbildung an der Universität oder dem Technikum ab. Aber dennoch übertraf die Kohorte der 35–39-jährigen Deutschen die anderen Altersgruppen in Bezug auf die Anzahl der qualifizierten Spezialisten.

Die Volkszählung zeigte, dass Deutsche im Alter von 40 Jahren oder älter über ein höheres Bildungsniveau verfügten als in der Region lebende Personen anderer Nationalitäten des gleichen Alters, denn sie hatten den Unterricht an nationalen Schulen an den Orten ihres kompakten Wohnens besucht. Eine Grundschulbildung erhielten 30,3 % der Deutschen und lediglich 18,7 % der Regionsbewohner über 40, eine nicht abgeschlossene mittlere – 6,9 und 5,3, allgemeine mittlere – 2,4 und 2,2 %. Der Anteil Spezialisten mit mittlerer und höherer Fachausbildung 2,4 bzw. 3,0 % unter den Deutschen gegenüber 3,0 und 1,9 % bei der Regionalbevölkerung aus. Über keine Grundschulbildung verfügte etwas weniger als die Hälfte der Deutschen und etwa 70 % der Regionsbewohner. Der Anteil der Analphabeten unter den Deutschen mit 40 Jahren und älter belief sich auf 12,4 %, bei der regionalen Bevölkerung auf – 27 %. Es ist offensichtlich, dass die Deportation bei den Deutschen irreparable Schäden am Bildungspotential verursachte, indem sie die grundlegenden Mechanismen seiner Umsetzung und Erweiterung untergrub. Die quantitativen und qualitativen Bildungsmerkmale der Deutschen, die vor 1923 geboren wurden, waren erheblich höher als bei ihren Altersgenossen – den Bewohnern der Region und den Vertretern der jüngeren Generationen.

Der lange Verbleib der Deutschen im Status eines deportierten Volkes, das niedrige Bildungsniveau spiegelten sich in ihrer beruflichen Zusammensetzung wider, wovon man sich ebenfalls anhand des Beispiels der Deutschen in Chakassien eine Vorstellung verschaffen kann. Laut Volkszählung war ein Großteil der „chakassischen“ Deutschen – 88,8 % – mit körperlichen Arbeiten beschäftigt und nur 11,2 % – mit geistiger Arbeit (Tab. 3) [8. Bl. 71].

Tabelle 3. Verteilung der chakassischen Bevölkerung nach Art der Arbeit 1959 in %

Art der beruflichen Tätigkeit Gesamt-Bevölkerung Deutsche
Beide Geschlechter Männer Frauen Beide Geschlechter Männer Frauen
Insgesamt 100 100  100 100 100 100
Geistig Arbeitende 20,8 15,5  28,5 11,2 9,6 13,4
Körperlich Arbeitende 9,2 84,5 71,5 88,8 90,4 86,6

Zu den körperlich arbeitenden Menschen gehörten bei den Deutschen 90,4 % der Männer und 86,6 % der Frauen, bei den Einwohnern Chakassiens 84,5 bzw. 71,5%. Die größte Gruppe bei den Deutschen machten Arbeiter in der Landwirtschaft aus (40,2 %), danach – Arbeiter im Bereich der Industrie (19,4 %).

Im Bereich der Dienstleistungen und des Handels waren 8,9 % Deutsche beschäftigt, im Bahn- und Fahrzeug-Transportwesen 8,5 %, beim Bau 5,7 %. Eine große Gruppe stellten niedrig qualifizierte Arbeiter dar – Lagerarbeiter, Packer, Wiegearbeiter, ungelernte Arbeiter – mit 6,1 %.

Der Anteil der in geistigen Berufen beschäftigten Deutschen war merklich niedriger als das Durchschnittsniveau. So machten unter den Einwohnern Chakassiens die Personen mit einem geistigen Beruf 28,5 % bei den Frauen und 15,5 % bei den Männern aus, während es bei den Deutschen 13,4 bzw. 9,6 % waren. Darin zeigte sich ihre offenkundige berufliche Diskriminierung, denn die ältere und mittlere Generation, die vor der Deportation eine Ausbildung erhalten hatte, besaß darin ein weitaus höheres Niveau als die Russen und andere Volksgruppen [5. Bl. 794–809].

In Bezug auf die soziale und berufliche Zusammensetzung war die Kategorie der mit geistiger Arbeit beschäftigten Deutschen uneinheitlich und wies ebenfalls Spuren der Diskriminierung auf. Sie hatten keinen Zutritt zum Kreis der Führungskräfte. Lediglich 8 Deutsche waren in Chakassien Leiter von Unternehmen. Die größte Gruppe der Personen mit geistiger Tätigkeit waren Planungs- und Buchhaltungsmitarbeiter – 2,8 %, die Zahl der Ingenieure und Techniker war etwas niedriger – 2,1 %. Ein unbedeutendes Gewicht lag auf den landwirtschaftlichen Spezialisten – 0,4 %. Unter der nicht im Produktionsablauf beschäftigten Intelligenz waren die meisten Fachleute Mitarbeiter in der Volksbildung – 1,7 %. Deutlich weniger waren es beim medizinischen Personal – 0,7 %, sowie kulturell-aufklärerischen und künstlerischen Intelligenz – nur 0,3 %.

Die meisten Deutschen waren in manueller oder schlecht mechanisierter Arbeit beschäftigt. Dies war einerseits ein Beweis für ihr niedriges Bildungsniveau, andererseits bestätigte es die Tatsache ihrer Beschäftigung ohne Berücksichtigung von Bildung und Qualifikationen. Die Deutschen wurden nicht durch Anreize gefördert und wurden auch nicht am Ehrenbrett erwähnt. Dokumente bezeugen, dass nicht nur während des Krieges, sondern auch danach, auf Anfrage von Unternehmen und Kolchosen in breitem Maße ihre Zwangsumsiedlung von einem Ort an einen anderen praktiziert wurde [2. Ë. 59].

Die Einstellung der Behörden gegenüber den Deutschen veränderte sich nur langsam. Selbst nach mehreren Jahren Arbeit konnten nur wenige von ihnen mit einer Beförderung rechnen. Erst Mitte der 1950er Jahre, mit Beginn des Rehabilitierungsprozesses und dem Auftreten einer neuen Tendenz zur Anbindung an die Wohnorte erhielten die deutschen Sondersiedler die Möglichkeit auf der Karriereleiter voranzukommen und beteiligten sich aktiver an ehrenamtlichen Tätigkeiten.

Während des Krieges wurden im Norden der Region, wo das Personalproblem immer schon besonders akut gewesen war, Fischfang-Betriebe gegründet und die Arbeitskräfte mit Sondersiedlern aufgestockt. Sie arbeiteten dort auch in der Nachkriegszeit weiter. Die Liquidierung des Sondersiedler-Regimes und die Abschaffung der Beschränkungen in der Rechtslage der Deutschen, unter anderem des eingeschränkten Rechts auf freie Wahl des Wohnortes, führten zu einer Massen-Abwanderung der deutschen Bevölkerung. 1956 wurden aus den Fischfang-Kolchosen 82 arbeitsfähige Kolchosarbeiter abgeschrieben, 1957 waren es 78. Infolgedessen verringerte sich innerhalb von zwei Jahren der Fischfangertrag von 5000 auf 3000 Zentner. Der Abgang der arbeitsfähigen deutschen Bevölkerung verschärfte das Problem des Überlebens der Fischfang-Kolchosen, und die Behörden sahen sich gezwungen sie zusammenzuschließen.

Die Frage über die Zurückbehaltung der in den nördlichen Regionen von der Sonderregistrierung befreiten Deutschen als Arbeitskräfte oblag den Parteiorganen. Der Arbeitskräftemangel drohte die Umsetzung des Staatsplans zum Zusammenbruch zu bringen. Das zwang die örtlichen Behörden ihr Augenmerk ernsthaft auf die materiellen Alltagsbedingungen im Leben der deutschen Bevölkerung zu legen. Es wurde ein ganzes Paket an Vorschlägen vorbereitet, allerdings gelang es nicht diese vollständig zu verwirklichen. Daher gab es keine grundlegende Veränderung im Leben der Deutschen. Ihre Abwanderung hielt an [3. Bl. 61–63].

Eine allgemeine Vorstellung von den Wohn- und Alltagsbedingungen der Sondersiedler während des Krieges und in den Nachkriegsjahren kann man sich auf Grundlage von Informationen machen, die aus den Städten und Bezirken beim Regionalkomitee der KPdSU eingingen, sowie anhand der in den Wirtschaftsbüchern der Dorfräte eingetragenen Angaben. Die materielle Lage der Deutschen war als Folge der Deportation ruiniert, und die Erholungsphase zog sich über ein ganzes Jahrzehnt hin. Vorrangiges Problem des Sich-Einrichtens war der Mangel an Wohnraum, was durch due Rechenschaftsberichte der örtlichen Behörden bezeugt wird. Es gab nicht selten Fälle, in denen Sondersiedler viele Jahre mit mehreren Familien zusammen in unbeheizten Baracken hausten [2. Bl. 8].

Besonders akut war für das ganze Land das Problem der Lebensmittel-Versorgung, aber für die Deutschen, denen die Existenzmittel entzogen worden waren, gestaltete es sich noch viel schlimmer. Lebensquelle für sie waren die eigenen Hauswirtschaften. Laut Angaben der Wirtschaftsbücher des Chomutowsker Landrats im Irbejsker Bezirk, bestand der forstwirtschaftliche Betrieb der Familien deutscher Sonderumsiedler nur aus einem Gartengrundstück, auf dem Kartoffeln und Gemüse angebaut wurden. Der Umfang der Aussaat war für alle Kolchosbauern reglementiert, begrenzt war auch die verfügbare freie Zeit für die Bearbeitung des Grundstücks, und im Durchschnitt machten sie eine Größe von 15–20 Hundertstel Hektar aus. Informationen über das Vorhandensein von Vieh bei den Deutschen fehlen, bei den anderen Dorfbewohnern sind sie ebenfalls nur äußerst selten zu finden. Bienenzüchter unter den Deutschen sind nicht vermerkt. Die Unterhaltung einer Imkerei war mit erheblichen Kosten für den Erwerb von Bienenstöcken und entsprechender Ausrüstung verbunden, was für die Deutschen in jenen Jahren unmöglich war [4. Bl. 64–72].

Die wirtschaftliche Situation der Dörfer änderte sich in den 1950er Jahren, und zugleich wuchs der materielle Wohlstand ihrer Bewohner. Auf den persönlichen Hinterhöfen der Deutschen tauchten Kühe und Schweine auf und ein wenig später – Schafe und Geflügel. Doch aufgrund der Besonderheiten bei der Besteuerung und der staatlichen Politik im Allgemeinen hielten die Dörfler nicht mehr als eine Kuh und ein Schwein. Die kleine häusliche Landwirtschaft war ein wesentlicher Bestandteil des Dorfgefüges, der Lebensweise und - die Hauptnahrungsquelle der Menschen.
Das wichtigste Anzeichen für die Verbesserung der materiellen Lage war der Bau von Wohnhäusern, unter anderem mit Hilfe von Krediten. Nach Informationen, die 1952 aus dem Uschursker Bezirk eintrafen, lebten 60 deutsche Familien in eigenen Häusern, 75 besaßen Vieh zu ihrer persönlichen Verfügung [2. Bl. 82]. Mitte der 1950er Jahre war die Lücke bezüglich der Vermögenslage zwischen Deutschen und Vertretern andere Nationalitäten praktisch geschlossen.

Die Frage über die Bewertung er Arbeitseffektivität der Deutschen bei der wirtschaftlichen Urbarmachung der Region Krasnojarsk ist äußerst strittig. Qualitativ gesehen leisteten die Deutschen keinen geringen Beitrag zur Wiederherstellung der Volkswirtschaft nach dem Kriege, besonders unter den Bedingungen enormer menschlicher Verluste aufgrund der Lebensmittelprobleme und der Entwicklung der gewerblichen Fischfangwirtschaft. In Bezug auf die Menge konnten die Deutschen die Erfordernisse der Wirtschaft bei den Arbeitsressourcen nur teilweise befriedigen, denn ihr Anteil an der Bevölkerung in der Region betrug lediglich 2,6 %.
Die zerstörerischen Folgen der repressiven Politik erbte sich ins Schicksal mehrerer Generationen von Deutschen ein. Angaben über das Leben in der Region in der Nachkriegszeit bezeugen, dass ihre berufliche Zusammensetzung und ihr Bildungsniveau deformiert waren, und der Wiederherstellungsprozess zog sich über viele Jahre hin. Den moralischen Schaden in Zahlen zu bewerten erweist sich als unmöglich.

Quellen- und Literaturangaben

1. All-Russische Volkszählung 1959. Verteilung der Bevölkerung der RSFSR und ihrer Regionen nach Alter und Bildungsniveau. – Demoskop Weekly. – ¹ 581–582. – 2014. [Elektronische Quelle]. URL: HTTPS://demoscope.ru/week-ly/ssp/rus_edu_59.php?reg=72.2. KGKU «GAKK» (Staatliches Archiv der Region Krasnojarsk). Fond. Mappe-26. Verz. 25. Dossier 12.
3. GAKK. Fond. Mappe-26. Verz. 31. Dossier 5.
4. MKU «Kommunales Archiv des Irbejsker Bezirks». Fond R-48. Verz. 3. Dos. 15.
5. L.N. Slawina. Erwerbstätigkeit und sozial-ökonomische Struktur der Deutschen in Chakassien (nach den Ergebnissen der Volkszählung von 1959) // Anfangsphase des Großen Vaterländischen Krieges und Deportation der Russland-Deutschen: Ansichten und Bewertungen über 70 Jahre. Materialien. 3. Internationale wissenschaftlich-praktische Konferenz – Moskau.: Verlag MSNK-Press, 2011.
6. Föderale Staatliche Einrichtung «RGAS» (Russisches Staatsarchiv für Ökonomie). Fond 1562. Verz. 336. Dos. 2991.
7. RGAS. Fond 1562. Verz. 336. Dos. 2935.
8. RGAS. Fond 1562. Verz. 336. Dos. 3019.
Sibirien und die Sibirer im Großen Vaterländischen Krieg 1941–1945.
Materialien des Sibirischen Geschichtsforums. Krasnojarsk, 2. –3. Dezember 2015.
Krasnojarsk: Resonanz, 2015. – 304 S.


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