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Die Mobilisierung der deutschen Sonderumsiedler in die Arbeitsarmee auf dem Territorium der Region Krasnojarsk in den 1940er Jahren

Nach der Volkszählung des Jahres 1939 lebten am Vorabend der Deportation auf dem Territorium dieser Region 3962 Deutsche.1 Die Zwangsumsiedlung der Wolgadeutschen zu Beginn des Großen Vaterländischen Krieges führte zu ihrem jähen zahlenmäßigen Anstieg in Sibirien, unter anderem auch in der Region Krasnojarsk. Im September-Oktober 1941 trafen 75 Tausend Menschen aus dem Wolgagebiet ein. Die Massendeportation begünstigte eine geographische Ausbreitung der Deutschen insoweit, als sie in insgesamt 42 Bezirken der Region untergebracht wurden. Die Eingewöhnungsphase des Sonderkontingents war langwierig und wurde erschwert durch die fortgesetzten Repressionen gegenüber diesem Volk seitens der Behörden: es folgten erneute Deportationen und die Mobilisierung in die Arbeitsarmee.

Die wiederholten Zwangsmigrationen waren abhängig von den Erfordernissen der sozialen und ökonomischen Entwicklung in der Region, die im weiteren Verlauf einer dauernden wirtschaftlichen Kolonisierung bedurfte. Die Arbeitsmobilisierung des Sonderkontingents - Arbeitsarmee und Umsiedlungzum Fischfang in die Regionen des Hohen Nordens, gestatteten es innerhalb kurzer Zeit, die Verwirklichung der beabsichtigten volkswirtschaftlichen Aufgaben in Angriff zu nehmen. Die vielfältigen Formen des Arbeitseinsatzes der Sonderumsiedler erweiterte das Spektrum der Zwangsarbeit auf dem Territorium der Krasnojarsker Region, wohin schon in den 1930er Jahren Arbeitssiedler und Häftlinge verschickt worden waren. Die Zwangsarbeit wurde zu einem nicht wegzudenkenden Teil der sowjetischen politischen Repressionen, in deren Rahmen in den 1940er Jahren auch das System der ethnischen Verbannung entstand.

Die Region Krasnojarsk hatte das Landeszentrum stets wegen seiner reichen Rohstoffvorkommen angelockt. Anfang 1942 verabschiedet die Regierung die bekannte Verordnung über die Forcierung der Entwicklung der Fischindustrie in den sibirischen Flüssen, in der Hoffnung, auf diese Weise die Urbarmachung des nördlichen Territoriums zu beschleunigen. Die Arbeitsmobilisierung der Sonderkontingente, die in den Norden geschickt werden sollten, war sorgfältig organisiert und verlief nach einem streng festgelegten Plan. Von Mai bis Juli 1942 gab es am neuen Wohnort 6312 Wolgadeutsche. Unter den zum zweiten Mal Deportierten befanden sich nun auch Letten, Finnen, Griechen. Insgesant wurden bis zum Ende der Schiffbarkeit auf den Flüssen 23 Tausend Menschen in den Norden verlagert.2 Als Ergebnis der Realisierung der wiederholten Deportation gerieten die Deutschen in schwer zugängliche und wenig besiedelte nördliche Bezirke, so dass sie auf diese Weise die geographische Verteilung ihres Ethnos noch weiter ausdehnten.

Im Norden wurden die Umsiedler zur Arbeit in Fischfabriken und in bereits vorhandenen Fischfang-Kolchosen eingeteilt, aber man stellte aus ihnen auch ganz neue Genossenschaften zusammen. Uns ist bekannt, dass auf der Halbinsel Tajmyr in den Jahren 1942/1943 insgesamt 11 neue Wirtschaftsbetriebe geschaffen wurden.

Mit den Problemen der Unterbringung und der Organisierung der Arbeitstätigkeiten der Umsiedler befaßten sich in erster Linie der Krasnojarsker Fischerei-Trust und die Fischfabriken in Igarka und Ust-Port. Wie Dokumente belegen, wurden sie mit den gestellten Aufgaben nicht fertig – Arbeit und Alltag der zur Gewerbeausübung eingetroffenen Menschen war überhaupt nicht organisiert worden. Nicht nur einmal wiesen die Fischfabriken die Bevollmächtigten des Regionskomitees der Allrussischen Kommunistischen Partei (Bolschewiken), die als Begleitpersonen für die Umsiedler-Karawanen in den Norden geschickt worden waren, in ihren Rechenschaftsberichten auf die Tatenlosigkeit des Fischerei-Trusts hin. „Auf der Insel Nosonowsk, Ust-Jenisejsker Bezirk, wurden 307 Deutsche und Letten an Land gesetzt. Seitdem sind bereits 27 Tage vergangen, aber man hat außer drei großen Fischfangnetzten, die auch erst nach 23 Tagen eintrafen, noch nichts weiter erhalten. Maximal 54 Leute können im günstigsten Fall diese drei Netzte nutzen, die übrigen 253 haben nichts zu tun“.3 Unter solchen Bedingungen war die Erfüllung der von der Regierung verabschiedeten Verordnung „Über die Entwicklung der Fisch-Industrie an den Flüssen Sibiriens und des fernen Ostens gefährdet. Im Sommer 1943 wurden zur Änderung der Situation in Turuchansk und Dudinka Fischerei-Kollektive geschaffen.Den neuen genossenschaften Hilfestellung zu geben galt als eine ihrer wichtigsten Aufgabenstellungen und Tätigkeiten.

In den erhalten gebliebenen Aktenbeständen der Fischerei-Kollektive befinden sich Informationen über Produktionstätigkeiten, Anzahl und nationale Zusammensetzung der neuen Wirtschaften (s. Tab. 1).

Tabelle 1. Nationale Zusammensetzung der Kolchosen in der Tajmyrsker Fischerei-Vereinigung im Jahre 1944

Bezirke Anz. der Wirtsch. Nenzen Sacha Ngana-sanen Ewenken Russen Deutsche Letten Finnen Kalmücken Jakuten
Dudinsker                    
Insgesamt: 619 41 16 - 56 63 437 3 3 - -
Davon: Fischfang 574 41 16 - 12 62 437 3 3 - -
Ust-Jenisejsker                    
Insgesamt: 939 273 20 32 - 145 382 8 49 30 -
Davon: Fischfang 719 110 - - - 140 382 8 49 30 -
Chatangsker                    
Insgesamt: 575 - 280 177 - - 46 - - - 72
Davon: Fischfang 575 - 280 177 - - 46 - - - 72
Awamsker                    
Insgesamt: 322 - 247 43 23 - - - - - 9
Davon: Fischfang 136 - 128 - - - - - - - 8
Gemäß
Fischerei-Vereinigung                    
Insgesamt: 2455 314 563 252 79 208 865 11 52 30 81
Davon: Fischfang 2004 151 424 177 12 202 865 11 52 30 80

Staatsarchiv der Region Krasnojarsk, Fond R-1444, Verz. 1, Dossier Nr. 5, Blatt 17.

Laut Angaben des Fischerei-Kollektivs waren die neuen Genossenschaften hauptsächlich international, aber die mehrheit der Umsiedler bildeten deutsche und russische Familien. Sie gehörten zum Personalbestand des Vorstandes der neuen Fischfang-Kolchosen. In den Bezirken Dudinka und Ust-Jenisejsk, also im Autonomen Gebiet Tajmyr, wurden deportierte Deutsche zum zahlenmäßig größten Arbeitskontingent, welches den von der Regierung verabschiedeten Beschluß zur Entwicklung der Fisch-Industrie realisierte.

In den 1940-er Jahren wurden auch die lokalen Kolchosen von den Regierungsplänen zur Forcierung vor allem der Fischvorkommen in den sibirischen Flüssen erfaßt. Sie wurden unter Zwang vom landwirtschaftlichen Bereich zum Fischfang versetzt. Im Zusammenhang damit änderten sich die Prioritäten in den Aktivitäten der alten Wirtschaften – jetzt dominierte die Fisch-Industrie in der Genossenschaftswirtschaft, und die traditionellen Pelz- und Rentier-Zuchtbetriebe waren nur noch Hilfswirtschaften. So wurden die Elemente der Arbeitsmobilisierung auch auf die ortsansässige Bevölkerung ausgedehnt.

Die materielle und technische Base der neuen Wirtschaften wurde unter Mithilfe der Motor-fischfangstation geschaffen. Aus den erhaltenen Einnahmen bezahlten die genossenschaften ihre Arbeit. Die Fischer vereinigten sich zu Brigaden und Einheiten. Entsprechend der vorhandenen Fang-Ausrüstung teilten sie sich in Netz- und Großnetz-Gruppen auf.

Die Fischbetriebe stellten zwar die wichtigste, jedoch nicht die einzige Beschäftigung der Sonderumsiedler dar. Kurz nach der Verstezung in die neuen Genossenschaften wurden Baubrigaden organisiert, denn die Versorgung des herangeschafften menschenkontingents mit Wohnraum war völlig unzureichend. Die Errichtung von Baracken mit Hilfe der Arbeitskraft der Umsiedler konnte das Wohnraum-Problem zwar ein wenig abschwächen, es jedoch nicht vollständig lösen. In den neuen Genossenschaften entwickelte sich der Gemüseanbau. Angesichts der erheblichen Mängel in der materiellen und technischen Versorgung waren die landwirtschaftlichen Erfolge der Sonderumsiedler äußerst bescheiden und konnten nur teilweise dazu beitragen, das Lebensmittelproblem auf Kosten der örtlich vorhandenen Mittel zu mindern. Die Regierung war der Meinung, dass Umsiedler und Ortsansässige ihre Lebensmittelversorgung selbst sicherstellen sollten. In einem gemeinsam gefaßten Beschluß des Rates der Volkskommissare und des Zentralkomitees der Allrussischen Kommunistischen Partei (Bolschewiken) vom 13. Februar 1944 „Über den Aufschwung der Landwirtschaf in der Region Krasnojarsk“ wurde vorgeschlagen, im Verlauf der nächsten Jahre im Norden einen eigenen Gemüsestandort zu schaffen. Die Verwirklichung dieser Verordnung ging nur sehr langsam vonstatten. Von 48 Kolchosen des Tajmyrsker Gebiets waren 1944 nur 12 als „bodenbewirtschaftende“ eingetragen. Unter den rückständigen befanden sich auch die Genossenschaften der Sonderumsiedler.4

Nach und nach eigneten sich die Umsiedler die unterschiedlichsten Arten gewerblicher Tätigkeiten an – zum Beispiel das Einfangen wilder Tiere und Vögel. Diese Arten der Beschäftigung galten als zusätzliche Erwerbsquelle in den bescheidenen Budgets der neuen Wirtschaften, und der siasonbedingte Charakter des Fischfangs gestattete es, eine Verschiebung der Arbeitskräfte außerhalb des eigentlichen Genossenschaftsbereichs durchzuführen.

Trotz der Stoßarbeit der Sinderumsiedler, blieben viele der neuen Kolchosen in einem wirtschaftlich schwachen Zustand. Ihre Erträge waren viel geringer, als die der lokalen Wirtschaftsbetriebe. So betrug beispielsweise der Erlös der ortsansässigen Kolchose „Sapoljarnik“ im Bezirk Dudinka im Jahre 1943 insgesamt 156172 Rubel, und der Gewinn der neu organisierten Genossenschaft „Neues Leben“ – 118637 Rubel.4 Es muß angemerkt werden, dass beide Arbeitskontingente zahlenmäßig in etwagleich waren. Der große Unterschied bei den Einnahmen erklärte sich dadurch, dass das Sonderkontingent vor allem in der Fischfang-Industrie beschäftigt war, wo die Arbeitsverdienste sehr bescheiden waren. Der Arbeitslohn hing von der Menge der Fische ab, die gefangen und an den Staat abgeliefert wurden. An der Annahmestelle bekam der Fischer eine Quittung über die abgegebene Menge sowie Bezugsscheine, auf denen die Summe festgelegt war, für die er an den örtlichen Industriewaren- und Lebensmittelpunkten einkaufen konnte. Selbst für die Fischer, die das Plansoll übererfüllt hatten, reichte der Verdienst nicht, um die für Kosten für die allernotwendigsten Lebensmittel zu decken. Ihr Jahreseinkommen betrug im Durchschnitt nur 40% des von der Fischerei-Kolchos-Vereinigung festgelegten Existenzminimums.5 Bei den ortsansässigen Kolchos-Fischern lag der Verdienst höher, aber auch sie schafften es nicht, das festgesetzte Minimum zu erreichen.

Das Problem des künftigen Überlebens stand in seiner ganzen Schärfe vor den Mitgliedern aller Fischerei-Genossenschaften. In den Jahren der forcierten Entwicklung des Fischfangs (1942-1944) wurde deutlich, dass die bescheidenen Verdienste aus dem Fischfang keine gut funktionierende Wirtschaft schaffen konnten. Die Erfüllung der Planaufgaben durch die Kolchosen war eine große Seltenheit, insofern als das Volkskommissariat diese unrealistisch hoch ansetzte. So berichtete der Tajmyrsker Fischfang-Trust, dass die neu organisierten Wirtschaften das Plansoll 1943 zu 43,7% und die ortsansässigen zu 83% erfüllten.6 Die Entwicklung der Fischindustrie in den Bezirken des HohenNordens vollzog sich langsamer, als das Volskommissariat für Fisch-Industrie es geplant hatte.

Brachte die Umsiedlung des Sonderkontingents zum Fischfang den erwarteten ökonomischen Effekt? War eine derartige Arbeitsmobilisierung gerechtfertigt? Natürlich gibt es keine gleichlautende Antwort auf diese Fragen. Einerseits förderten die wiederholten Deportationen die künftige sozial-ökonomische Erschließung des Nordens. Die verstärkte Entwicklung des Fischfangs in den Jahren 1942-1944 führte zur Erhöhung der Fangerträge um das Zweifache. Auf der anderen Seite führte die Bildung von Kolchosen aus den Reihen der Sonderkontingente nicht zu den erwarteten Ergebnissen. Die vom Schicksal zum Selbstüberleben vorbestimmten Umsiedler konnten keine ökonomisch starken Wirtschaften schaffen und mit den ortsansässigen Kolchosen konkurrieren.

1945 gestanden die Fischerei-Kolchos-Vereinigungen schließlich teilweise die Haltlosigkeit des gültigen Entwicklungsplans in den Fischfang-Betrieben ein. Die Versetzung der örtlichen Wirtschaften zur Fischfang-Ordnung wurde für falsch erklärt, die Erträge waren geschrumpft. Unter solchen Bedingungen war die weitere Existenz der begrenzt profolierten Umsiedler-Genossenschaften äußerst problematisch. Sie traten für eine Initiative zur Vereinigung mit den örtlichen Kolchosen ein. Die erweiterten Wirtschaften ginen zur landwirtschaftlichen Ordnung über, wobei sie jedoch den Fischfang als eine ihrer Tätigkeiten beibehielten.

Die Arbeitsmobilisierungen der Sonderkontingente trugen zur Entwicklung eines Aufsichtssystems über sie bei. Nach der Umsiedlung der Deutschen in die nördlichen Bezirke der Region folgte eine ofizielle, rechtskräftige Festlegung ihres Sonderumsiedler-Status. Ende 1943 waren in den Fischfang-Bezirken drei Kommandanturen in Betrieb – die Kommandanturen von Tajmyr, Chatanga und Igarka, die alle nationalen Kontingente unter ihrer Kontrolle hatten, die in den Hohen Norden transportiert worden waren.7 Die Abgelegenheit der Fischersiedlungen gestattete es den Kommandanten zwar nicht, eine ständige Aufsicht über die Deportierten auszuüben, aber das bedeutete keineswegs, dass das Sonderumsiedler-Regime geändert wurde, denn auch die Menschen selbst hatten keine freie Bewegungsmöglichkeit. Im Gegenteil - die weite Verstreutheit der Siedlungen auf dem großen Territorium verwandelte einige Kommandanten in unkontrollierbare hohe Herren, die in den ihnen anvertrauten Revieren die volle Macht ausübten. Äußerst bezeichnend ist das Verhalten des Kommandanten von Chatanga, der selbst die Anordnungen des Chefs des örtlichen NKWD-Bezirkskomitees ignorierte, indem er verlauten ließ, „dass er in Chatanga niemandem unterstellt“ wäre. Die rechtskräftige Einrichtung eines Sonderumsiedler-Systems unter den Bedingungen der wiederholten Deportation nationaler Kontingente war besonders aktuell, weil es das Streben des Staates wiederspiegelte, sie gewaltsam an den neuen Verbannungsort zu binden.

Eine besondere Art der Nutzung der Arbeitskraft von Deutschen in den Jahren des Krieges war die Mobilisierung, zunächst von Männern, später auch von Frauen, in sogenannte Arbeitskolonnen. Derartige Maßnahmen wurden auch auf dem Gebiet der Region Krasnojarsk durchgeführt. Durch die Arbeitsmobilisierung löste das NKWD teilweise das Problem der Sicherstellung von billigen Arbeitskräften bei den der eigenen Behörde angeschlossenen Unternehmen und erhielt gleichzeitig ein ausreichend mobiles und sich widerspruchslos fügendes Kontingent von Arbeitsfähigen. Bereits beim ersten Aufruf im Januar 1942 konnten das regionale Kriegskommissariat und das NKWD etwa 10000 deutsche Männer im Alter von 16 bis 55 Jahren zur „Trudarmee“ entsenden. Die Hälfte der Mobilisierten kam in die Holzverarbeitung, zur Verfügung des Kraslag an die Bahnstation Reschety, die übrigen 5000 wurden mit einem Eisenbahntransport bis ins Wjatlag gebracht.9 Im März 1942 wurden ortsansässige Deutsche, die ihren ständigen Wohnsitz in den Gegenden, Regionen, autonomen und Unions-Republiken hatten, einberufen. Die erneut mobilisierten gerieten ebenfalls unter die Aufsicht des NKWD der UdSSR.Aber nicht alle ortsansässigen Deutschen verließen die Region – 339 von ihnen gerieten ins Kraslag. Die nächste Einberufung in die Trudarmee im Oktober 1942 sah die Verschickung von 6000 deutschen Männern und Frauen in Gebiete außerhalb der Region vor, zu den Erdölkombinaten des Gebietes Kujbyschew und den Trusts des baschkirischen Erdölkombinats. Wie auch einige andere Regionen, schickte das Krasnojarsker Gebiet nicht nur Menschen fort, sondern verteilte auch bei sich Trudarmisten. 1943 kamen etwa 1 Tausend arbeitsmobilisierte Frauen aus dem Altai-Gebiet ins Kraslag.10

Offenbar verminderte der Einsatz von Deutschen aus anderen Regionen für die Arbeit im Kraslag das Risiko möglicher Fluchtversuche der Frauen zu ihren Familien. Nur so kann man sich den tatbestand erklären, dass etwa zu jener Zeit 2000 deutsche Frauen aus der Region Krasnojarsk aus dem Bestand der Arbeitskolonnen zum Bau desDschidinsker Wolfram-Molybdän-Kombinats (ins Dschidlag) geschickt wurden. Die Arbeitsmobilisierungen der Deutschen hörten erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1943 auf.

Angaben über Trudarmee-Angehörige, die in den zehn Bezirks-Kriegskommissariaten der Region erhalten geblieben sind, lassen bis zu einem gewissen Maß eine verallgemeinerte Vorstellung von der Alterszusammensetzung der mobilisierten Deutschen zu. Von 3646 in den Jahren 1942 und 1943 in die Trudarmee Abberufenen waren drei Viertel Männer (2692) und ein Viertel Frauen (954). Die Altersstruktur der Kontingente war unterschiedlich. Die Männer waren im allgemeinen „älter“. Jungen unter 18 Jahren machten einen Anteil von 15% aus. Das Frauenkontingent war „jünger“. Der Anteil Mädchen, die noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatten, betrug 28%. Offenbar hing dieser Unetrschied damit zusammen, dass man Frauenmit kleinen Kindern nicht in die Trudarmee holte. Gegenüber den Männern wurden zu der damaligen Zeit keinerlei Nachsicht geübt.

Die Mobilisierung der deutschen Jugendlichen und Frauen beeindruckt vor allem vor dem Hintergrund anderer nationaler Gruppen von Trudarmisten. So war beispielsweise das Kontingent arbeitsmobilisierter Russen ebenfalls in erster Linie ein Männerkontingent (6926). Frauen wurden viel seltener in die Arbeitsarmee geholt (873). Unter den Arbeitsmobilisierten Männern waren junge Leute nur zu einem ganz kleinen Prozentsatz vertreten (1,6%). Aus verständlichen Gründen beriefen die Kriegskommissariate gern junge Mädchen zur Arbeit ein, deren Anteil im Frauen-Arbeitskontingent 16% ausmachte. Die herangezogenen Daten spiegeln im wesentlichen die Politik der Behörden gegenüber dem deutschen Kontingent wider. Da die Deutschen nicht in die Reihen der Roten Armee eingezogen wurden, holte man eben alle männlichen Vertreter deutscher Nationalität bis 18 Jahre ind die „Arbeitsarmee“. Als nicht leicht erwies sich auch das Schicksal der deutschen Frauen, von denen viele als ganz junge Mädchen in die Arbeitskolonnen gerieten, die noch keine 18 Jahre alt waren.

Die Arbeit der in Arbeitskolonnen mobilisierten deutschen Frauen wurde ebenfalls innerhalb der Region genutzt. Einige kamen zu Verladearbeiten in den Krasnojarsker Hafen oder zum Bau des Kansker Flugplatzes. Die Mehrheit der männlichen Deustchen in den Arbeitskolonnen arbeitete in der Holzbeschaffung in den Lageraußenstellen des Kraslag. Es gehörte zum Bestand des GULAG-Systems und unterschied sich nur wenig von anderen NKWD-Lagern. Das Haftsystem und der Arbeitseinsatz der Deutschen im Kraslag war durch einen entsprechenden Befehl L. Berijas, des Volkskommissars für innere Angelegenheiten, vom 12, Januar 1942 festgelegt: die Verordnung „über die Organisierung von Einheiten aus mobilisierten Deutschen unter Zuständigkeit der Lager des NKWD der UdSSR“. Die Demobilisierung der Trudarmisten begann erst im Jahre 1946, allerdings bedeutete dies in der ersten Zeit nichts weiter als die Möglichkeit eines freien Ausgangs außerhalb der Lagerzone sowie das Recht, die Familie zu sich kommen zu lassen. Der Prozeß des Übergangs der Deutschen aus der Kategorie der „Mobilisierten“ in den Status der Sonderumsiedler vollzog sich bereits zu Beginn der 1950er Jahre.

In der Schlußbemerkung muß erwähnt werden, dass die massenhafte Arbeitsmobilisierung von Deutschen die Fortsetzung der Repressionspolitik des Staates gegenüber Vertretern dieser Nationalität darstellte. Neben der repressiven bargen sie auch eine ganz bestimmte ökonomische Funktion in sich. Die auf breiter Ebene genutzte Zwangsarbeit der deportierten Völker illustrierte sehr gut den Mobilisationscharakter der sowjetischen Wirtschaft, die sich sowohl in Friedens-als auch zu Kriegszeiten einzigartiger Methoden zur Beschaffung unfreiwilliger Arbeiter bediente, um ihre wichtigsten volkswirtschaftlichen Aufgaben zu lösen. Dabei gehörten die Probleme der ökonomischen Zweckmäßigkeit nicht zu den essentiellen. Alles wurde durch den politischen Willen der sowjetischen Leitung entschieden. Auf dem Territorium der Krasnojarsker Region existierten 1940 für andere Regionen seltene Kombinationsformen der Zwangsarbeit deportierter Deutscher. Mit ziemlicher Sicherheit kann man sagen, dass die Arbeitsmobilisierungen der deutschen Umsiedler, die im Jahre 1942 ihren Anfang nahmen, den Prozeß der Bildung eines Aufsichtssystems durch das NKWD über das betreffende Kontingente beschleunigten.

Anmerkungen:

1. Staatsarchiv der Region Krasnojarsk, Fond 1300, Verz. 12, Dossier 37, Blatt 125.
2. Zentrum.für dieVerwahrung und das Studium von Dokumenten der neuzeitlichen
Geschichte der Region Krasnojarsk, Fond 26, Verz. 3, Dossier 463, Blatt 107.
3. Ebenda, Blatt 64.
4. Staatsarchiv der Region Krasnojarsk, Fond 1444, Verz. 1, Dossier 9, Blatt 5.
5. Ebenda, Fond 1445, Verz. 1, Dossier 71, Blatt 23.
6. Ebenda, Fond 1444, Verz. 1, Dossier 12, Blatt 20.
7. Ebenda, Dossier 24, Blatt 107, 108.
8. Abteilung für Sonderfonds und Rehabilitationen des Informationszentrums der Staatlichen
Behörde für Inneres der Region Krasnojarsk, Fond 6, Dossier 1, Tafel 2. Anordnungen der
NKWD-Verwaltung im Jahre 1943, S. 38.
9. Ebenda, Dossier 3, Tafel 1, Anordnungen der NKWD-Verwaltung im Jahre 1944, S. 123.
10. Ebenda, Tafel 1, Dossier 1, Anordnungen der NKWD-Verwaltung im Jahre 1942, S. 6.
11. „Deutsche sind in Arbeitskolonnen zu mobilisieren ... J. Stalin“: Dok.-Sammlg. (aus den
1940er Jahren) / Inhalt, Vorwort, Kommentare, Geschichtsquellen, Professor N.F. Bugaj –
2. Ausgabe, Moskau, 2000, S. 261

Autorin: Elena Leonidowna Sberowskaja, Hauptdozentin am Lehrstuhl für allgemeine Geschichte der Staatlichen Krasnojarsker Pädagogischen Universität. E-mail Adresse:
zberovskiy@mail.ru

Veröffentlicht in: “Die Deutschen in Sibirien: Geschichte, Sprache, Kultur“- Materialien der internationalen wissenschaftlichen Konferenz, Stadt Krasnojarsk, 13. – 16. Oktober 2004.
Verantwortliche Redakteurin: W.A. Djatlowa, Krasnojarsk, 2005. – S. 46-50


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