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W.J. Oberman . Das Stepanowsker Lager

Sei verflucht, du Kolyma,
daß du den Spitznamen
„wunderbarer Planet“ trägst,
du verlierst gezwungener-maßen den Verstand – von
hier gibt es schon kein Zurück
mehr.

Das Lager in Igil wurde im Jahre 1947 errichtet, die Gebäude aus Nowaja Schiderba wurden hierher verlegt, ein Teil der Gebäude wurde auch auseinander genommen und nach Schajbino transportiert. Zum Lagerleiter ernannte man G. Fedorow. Hier versahen A.A. Nowikow, K.I. Kopylow, P. Snoptschenko ihren Dienst, und hier lebten die Schechowzows, Lanzows, Akusins, Kibis, Dorochows. Es gab 120 Verurteilte und mehr als 100 – Pferde. Insgesamt standen hier 4 Häuser. Und in Staraja Schiderba – 12 Häuser. Die Wachen in Igil trugen die Bezeichnung „ochra“ (Lager-Garnison; Anm. d. Übers.).

Im Sommer 1947 wurde ebenfalls ein Lager in Belousowo eingerichtet.

Der Ort wurde von dem Wachmann I.I. Kosogor und dem technischen Leiter Tschutschko ausgewählt. Die Häftlinge lebten in Zelten, begannen unverzüglich mit dem Fällen von Bäumen sowie dem Bau von Objekten. Zur Schaffung eines künstlichen Meeres wurde der Fluß Ambartschik mit einem 200 m langen Staudamm und einer Schleuse versehen. Der Damm existiert heute noch und sieht eigentlich noch sehr schön aus. Allerdings ist die hölzerne Schleuse vom Feuer geschwärzt.

Die Überreste des Staudamms sieht man auch noch in Schiderba. Im Frühling sammelten sie erst Unmengen von Wasser. Dann wurden die Schleusentore geöffnet und mit dem Holzabflößen begonnen. Damit das Holz nicht auseinandertrieb, bauten sie entlang des Flußbettes Dämme, die ebenfalls heute noch erhalten sind. Wenn du in der heutigen Zeit auf dem Fluß Ambartschik fährst, wunderst du dich: wieviel menschliche Arbeitskraft steckt in diesen Anlagen. Sie taten 5-8 Jahre lang ihre Dienste, der Wald wurde vollständig abgeholzt, und die Lagerpunkte an neue Orte verlegt. Im Jahre 1998 unternahm eine Gruppe von Schülern einen Marsch nach Belousowo und entdeckte hier Überreste einer Ziegelfabrik, Reste von Bottichen, in denen man in der Bäckerei den Teig geknetet hatte, Fundamente von Häusern, zwei Motoren, den Fußbodenbelag sowie Pfosten von den Pferdeställen; des weiteren fanden sie geflickte, gußeiserne Kessel mit einem Fassungsvermögen von etwa 4-5 Eimern, wahrscheinlich wurde in ihnen Essen über dem Lagerfeuer zubereitet. Sie fanden auch einen Haufen Walzen von Alberts Leiterwagen, bei dem sich übrigens die Räder sogar nach um die Achsen drehen lassen. Mit den Worten von I.I. Kosogor gab es hier ein Sägewerk. Den Lehm für die Ziegelfabrik knetete man mit Hilfe von Pferden, und auf den Waldlichtungen wurde Heu gemäht. Heute ist der größte Teil der Heuschläge mit dichtem Gestrüpp zugewachsen. Das Lager besaß seinen eigenen Verkaufsstand, der von Xenia Markowna Dubkowa geleitet wurde. Ferner gab es eine medizinische Betreuungsstelle, wo man sowohl den Verurteilten als auch den freien Bürgern ärztliche Hilfe zukommen ließ. In den medizinischen Betreuungsstellen und Sanitätsabteilungen arbeiteten qualifizierte Mediziner. Die Erinnerung an sie lebt bis heute im Volk weiter; in einigen Med-Stationen wurden sogar Operationen durchgeführt.

Den Autor dieser Zeilen lieferte dessen Vater im Alter von 4 Jahren bei der medizinischen Betreuungsstelle in Belousowo ab, um ihn dort behandeln zu lassen.

Am Fluß Beresowaja standen 3 Baracken, es gab eine Bäckerei, einen Laden. Hier arbeiteten Verbannte aus der Ukraine.

Daher kann man das Lagersystem in der Taiga als Nomaden-System bezeichnen: nachdem praktisch die Reichtümer des Waldes vernichtet worden waren, verlegte man die Lager einfach an neue Orte. Die ersten Lager befanden sich in Ambartschik, Staraja Schiderba, Kuscho ... das letzte – in Stepanowka. Uns liegen bislang keine chronometrischen Angaben über jedes einzelne Lager vor. Aber der GULAG nahm in unseren Regionen im Jahre 1938 seinen Anfang.

Nach dem Krieg, ab 1946, wurde in Stepanowka ein Flößerei-Revier geschaffen, dem Iwan Wasiljewitsch Schilinski vorstand. Etwas später wurde es vom Meister Danil Wasiljewitsch Winnik geleitet. Er betrieb häufig an einem der Durchflüsse Fischfang und säuberte seine Mündung, damit die Fische besser hineinschwimmen konnten; seit jener Zeit nennt sich diese Stelle auch Winnikow-Durchfluß. Es gibt Zeugnisse darüber, daß 1945 in Stepanowka 11 Familien mit einer Gesamtbevölkerungszahl von 47 Personen lebten.

Der Krieg brachte einen neuen Bevölkerungsstrom mit sich: man deportierte die Repressionsopfer der deutschen Wolgarepublik hierher.

Hier die Angaben des Gebietsarchivs der Verwaltung für Inneres über die Verteilung der deutschen Familien auf die einzelnen Dörfer des Kreises Irbej, wie sie von W.K. Sberowskij aufgezeigt wurde:

Irbejsker Sonderkommandantur  TumakowskerSonderkommandantur
Dörfer Familien Personenzahl Dörfer Familien Personenzahl
Irbej
Kokorino
„Zawety Ilitscha“
Priretschnoje
Judino
1. Maja
Melnitschnoje
Michajlowka
Werchnaja Urja
Jelisejewka
Kromka
Iwanowka
Nowo-Troizk
N. Alexandrowka
Troizk
Alginka
Kosyla
Wosnesenska
Gorkino
Taloje
Bolschaja Retschka
Bogatschewo
Roschdestwenka
Dawydowka
Seredinka
Usnenka
Galuschka

Gesamt

35
4
14
12
9
4
6
2
9
3
4
3
1
2
-
1
1
1
1
11
5
5
2
3
1
-
1

140

169
18
56
48
34
18
28
10
41
13
12
10
8
7
2
4
4
2
3
46
17
22
7
16
7
1
3

608

Tumakowo
Tschuchlomino
Latynzewo
Ust-Jarul
Kamenka
Malye Kljutschi
Priobraschenka
Chomutowo
Korostelowo
Stepanowka
Stariki
Minuschka
Galunka
Ilinka
Agul
Strelka
Gladkij Mys
Bytschkowka
Malowka

Gesamt

50
30
14
6
2
1
2
1
1
11
-
-
6
-
-
18
2
-
-

151

 

207
166
68
21
6
5
8
3
8
49
2
4
24
4
10
65
9
3
-

655

 

Insgesamt wurden in dem Distrikt 291 Familien oder 1263 Personen verstreut angesiedelt. Aus dem Besiedlungsprinzip lassen sich offenbar folgende Schlüsse ziehen: je mehr Dörfer es gab, umso größer war die Anzahl der deutschen Familien, die dorthin geschickt wurden. Auch die Einteilung auf die einzelnen Kommandanturen ist mehr oder weniger verständlich, wahrscheinlich war das Post- und Fernmeldewesen und die Verkehrsverbindung hier von Bedeutung. Es stellt sich eine Frage: warum gehörten Stepanowka und andere Lager in der (Umgebung des Flusses Tungir (Stariki, Galunka, usw.) zur Tumakowsker Kommandantur? Das lag wohl eher an den Produktionsbedürfnissen. Denn hier wurden Flößarbeiten verrichtet, die abgeflößten Holzbalken kamen in Chobanowo an (unweit von Kansk), und wenn sich die Menschen melden und registrieren lassen mußten, dann lag Gumakowo doch näher als Irbej. Registrieren lassen mußten sie sich einmal im Monat, wie zu den besten Zarenzeiten. In den Personenakten der gewaltsam Verbannten, den sogenannten Repressierten, gab es ganz spezielle Seiten, in denen das Jahr, der Monat, der Tag und die Unterschrift des Verbannten vermerkt waren. Alle Akten waren mit dem Siegel „geheim“ versehen, und auf Grundlage des Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjet der UdSSR vom 13. Dezember 1955 und dem Befehl des Ministeriums des Inneren No. 0601 vom 16. Dezember 1955 wurden die Beschränkungen in der Rechtslage der Deutschen und ihrer Familienmitglieder, die sich in der Sonderansiedlung befanden, aufgehoben. Im Zusammenhang damit wurde die persönliche Meldeakte an das Archiv der Verwaltung des Ministeriums für innere Angelegenheiten der Region Krasnojarsk übergeben. Und die Sonderansiedler erhielten eine dementsprechende Bescheinigung.

Die Deutschen wurden im August 1941 aus ihren Wohnorten ausgewiesen, die Landesführung war der Meinung, daß die Sowjet-Deutschen Handlanger der Faschisten waren, und damit nicht genug – sie wurden sogar in aller Eile ausgesiedelt. Aber aus irgendeinem Grund scheint es so, daß das deutsche Volk auch nicht mehr Verräter hervorbrachte, als irgendein anderes Volk in der UdSSR. Sie hätten die UdSSR genauso verteidigt, denn schließlich war es ja ihre Heimat, ihre Mutter Erde, sie wohnten schon seit beinahe 200 Jahren hier. Und man sagt, daß sie ihre Städte und Dörfer nicht schlecht aufbauten. Die Menschen verloren ihre Behausung, ihre eigene kleine Nebenwirtschaft, ihre Möbel und andere Wertgegenstände, lediglich 2 Koffer durften sie pro Person mitnehmen. Allerdings erhielten sie Quittungen über den zurückgelassenen Besitz, und nach 1994 bekamen einige aufgrund dieser aufbewahrten Bescheinigungen durch Gerichtsbeschluß eine Kompensation in Form von Geld.

Das ganze Dorf vermied es, an den neuen Orten der Sonderansiedlung den deutschen ins Angesicht zu schauen, man begegnete ihnen unfreundlich, hielt sie für Faschisten. Aber als sie merkten, daß es ganz gewöhnliche Menschen waren, die obendrein noch mit vielen Fertigkeiten ausgestattet und insgesamt gesehen auch äußerst fleißig waren, da fingen sie an, ihnen Beistand zu leisten.

Die repressierten Deutschen mußten schreckliche Demütigungen durchmachen. Es wurden auch Polen, Letten, Litauer, Tschetschenen, Karatschajewo-Tscherkessen, Griechen und andere verschleppt, und, und es gibt immer noch Anhaltspunkte dafür, daß so manch einer die Deutschen bis heute nicht achtet. Die Gründe dafür liegen erstens – am Krieg, und zweitens – an dem unzureichenden Bildungsniveau. Nicht umsonst sind viele Deutsche nach Deutschland ausgereist. Von 2 Millionen haben mutmaßlich 1 Million Rußland verlassen.

Die Vertriebenen mußten diese erschütternden Unterschriften leisten. Und so sahen sie aus: „Mir, dem Vertriebenen - Familienname, Vatersname, Vorname -, Geburtsdatum, wohnhaft in (Angabe des Dorfes, Kreises, der Region), wurde der Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjet der UdSSR vom 26.11.1948 verkündet, in dem stand, daß ich für immer zur Sonderansiedlung (dies wurde von mir besonders hervorgehoben) vertrieben werden sollte, ohne das Recht auf Rückkehr an den vorherigen Wohnort, und daß ich bei eigenmächtigem Verlassen (Flucht) von dem mir zugewiesenen Ort der Sonderansiedlung zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt würde. Unterschriften des Vertriebenen und des Mitarbeiters des Ministeriums für innere Angelegenheiten“. Soweit man sich erinnern kann, gab es unter keinem Regime jemals derart scharfe Maßnahmen. Wie sehr mußte man seine eigenen Bürger da wohl gehaßt haben!

Von jedem wurde ein Bogen mit persönlichen Daten erstellt, und man mußte insgesamt 21 Fragen beantworten; Familienname, Geburtsjahr, Nationalität, Staatsbürgerschaft, Familienstand, Armeedienst, in Gefangenschaft gewesen, Auslandsaufenthalte, vorbestraft, wann vertrieben und andere. Besonders schockierend sind die Fotos der Ausgesiedelten, die sehr gut erhalten geblieben sind, und noch in speziellen Umschlägen verwahrt werden. Was soll’s! Diese Fotografien und auch die anderen Dokumente, die schon fünfzig Jahre dargelegen haben, können auch noch weitere 200 dort bleiben. Dort, wo sie warm, hell und trocken liegen, sind sie sicher! Nur, wenn dich dein Vater, mit noch einem ganz jungen Gesicht, aus dem Foto heraus ansieht, oder dein Großvater im Alter von 40 Jahren, dann geschieht in deinem Inneren etwas. Deine Liebe zur Heimat bekommt einen Riß, dein Herz wird mit einer neuen, bitteren Narbe versehen, und deine Seele, nicht mehr so wie vorher, reagiert auf die Lieder über Rußland. Gott sei Dank wurde gegen Ende des Jahrhunderts jenen, die noch am Leben geblieben sind, eine Reihe von Vergünstigungen gewährt.

Außerdem werden die persönlichen Akten nach besonderen Registratur-Kriterien verwahrt: zum Beispiel – Polen, Kalmücken, Deutschen, Entkulakisierte, usw. Und alle Repressierten wurden in vier Gruppen unterteilt: Ausgewiesene, Verbannte, Sonderansiedler (für immer), verbannte Siedler. Damit sie dort nicht durcheinander kommen und bei Bedarf sehr schnell gefunden werden. Denn nach solchen Bescheinigungen fragen: sowohl die Vertriebenen selbst, als auch ihre Verwandten. So wandten sich beispielsweise 1995 112000 Personen wegen dieser Bescheinigung an das regionale MWD-Archiv, und 1998 – 9000. Und wieviele werden sich schon niemals mehr wegen dieser Auskünfte an die Behörden wenden! Das spricht dafür, daß in unsere Region hunderttausende von Menschen deportiert wurden. Und die Verbannten, die selbst so leiden mußten, haben uns so manches hinterlassen: Siedlungen, Straßen, Städte. Sie haben ihren Beitrag zur Entwicklung der Region Krasnojarsk beigetragen, die ihnen zur zweiten Heimat wurde - und sie tun dies auch noch. Viele von ihnen werden niemals von hier fortfahren, denn sie halten dieses Stückchen Erde, das von ihrem Schweiß durchtränkt ist, für das beste auf der ganzen Welt. Und, wenn sie sterben, werden sie für immer darin bleiben. So haben viele diesem Ukas Folge geleistet:

sie wurden vertrieben und blieben für immer. In einem alten Dorf siedelten sich die Familien A.I. Leongard (Leonhard), Keller, A. Gartman (Hartmann), G. Kremer (G. oder H. Krämer), W.J. Schmidt, A. Weber und A.K. Schreiner an und begannen sich dort ihr Leben einzurichten.


Grundschule, erbaut 1948

Zum Jahr 1950 hin zählte Stepanowka bereits 107 Einwohner – viele kamen und fanden Arbeit, bauten sich Behausungen. 1948 wurde die Grundschule eröffnet (s. Foto); das Gebäude wurde von A.I. Leonhards Brigade errichtet. Es steht in dem alten Dorf gleich hinter dem Haus der Wysozkis, viele Jahre lebte die Fanmilie Posdnojew darin. Als 2. Lehrerin arbeitete Ljudmila Alexejewna Subbotina (Iwanowa) (auf dem Foto mit Ehemann Nikolaj).

1951 baute man eine neue Schule (s. Foto), in der gleichtzeitig zwei Klassen Platz fanden, gegenüber von den Kopylows. Jetzt existiert das Gebäude schon nicht mehr – es wurde abgerissen.

Aus Belousow Kljutsch wurde die Lehrerin Sinaida Ignatjewna Ilinowa (s. Foto) hierher verlegt. Der Unterricht fand in zwei Schichten statt: 1. und 3. Klasse, 2. und 4. Klasse. Die Schule in Ambartschik existierte bis 1970. In den letzten Jahren arbeitete dort Galina Jefimowna Maximowa.


Schule, erbaut 1951

In der Grundschule in Kasajewka arbeiteten die Eheleute Polina Iwanowna Kowrischnich und Grigorij Petrowitsch Wikentjew. Bis zur Eröffnung in Stepanowka besuchten die Kinder die Schule in dem Dorf Stariki, lebten dort in Wohnungen und kamen an den freien Tagen nach Hause, um Lebensmittel zu holen. Die Mehrheit der Erstklässler benutze selbstgemachte Rechenstäbchen; sie wurden aus aus den Halmen der roten Wiesenköpfe und der Reif-Weide hergestellt.

Jeden Tag brachten sie ihre Tintenfässer in speziellen Taschen mit zur Schule. Die Eltern nähten selbst eine „Fibel“, einige Kinder trugen anstelle von Schulmappen hölzerne Kästchen, ähnlich einem großen Federkasten. Man hatte auch Mühe mit den Pionierhalstüchern – sie wurden von den Müttern selbst genäht.

Eine Telefonverbindung existierte zwischen Stariki, Romanowka, usw. Man konnte bis nach Kansk telefonieren. In den 1960er Jahren stand das Telefon in dem alten Dorf in der Wohnung von M. Jemeljanenko. Auf der Strecke Stepanowka – Stariki sind bis heute noch ein paar Telefonmasten erhalten geblieben.

Im Zusammenhang mit der Erschöpfung der Waldressourcen in südlicher Richtung sowie der Lockerung der Repressionen wurden die Lager an diesen Orten aufgelöst. Das Lager in Belousow Kljutsch wurde nach Stepanowka verlegt, von wo aus es bequemer war, die Taiga nach Westen hin urbar zu machen. Hier war bereits eine anständige Siedlung entstanden, und von dort aus war es auch nicht mehr so weit bis nach Irbej, Tugatsch, Kansk. In Belousow arbeiteten noch bis 1953 Häftlinge ohne Wachbegleitung.

Und nun einige Angaben zum Tugatschinsker Sonderlagerpunkt für das Jahr 1949, die das Abflößen betreffen. Zum Beispiel: auf dem Fluß Kuscho – 33 Tage, auf dem Igil – 44 Tage, auf dem Ambartschik – 11 Tage, auf dem Kungus – 26 Tage, auf dem Tugatsch – 66 Tage. Und zum Sonderlagerpunkt Nr. 7 (Kungusker Lagerpunkt): auf dem Fluß Kungus – 67 Tage, auf dem Fluß Agul – 55 Tage, auf dem Fluß Kan, am Mittellauf - 52 Tage und am Unterlauf, bis nach Lobanowa, - 85 Tage.

Die Flößer befanden sich vom Frühjahr bis zum Herbst an der Flößstation, mitunter wurden sie für eine Woche zur Heumahd entlassen. Und da kam dann der Befehl Nr. 35 vom Februar 1951 über die Übergabe des Stepanowsker Flößerei-Reviers an den Sonderlagerpunkt 7, den Tugatschinsker Sonderlagerpunkt, die Organisation des Stepanowsker Lagerpunktes an der Stelle, wo sich die Stepanowsker Flößerei befand – mit einem Fassungsvermögen von 500 Mann, und den Bau einer Fahrzeuggarage für 6 Stellplätze. Des weiteren sollte mit dem Bau einer Eisstraße über den Fluß Astaschewka begonnen werden. Nachdem der Eisgang vorüber war, wurden Schwimmbäume zum Auffangen des Flößholzes nach folgendem Muster errichtet (siehe Zeichnung): ein langer Stab befand sich in schwimmender Position. Mit dem Anstieg des Wassers hob er sich ebenfalls und machte es dadurch dem Flößholz unmöglich, an die beiden Ufer auseinander zu schwimmen. Irgendwo wurden aus diesem Grund Holzpfähle in den Boden geschlagen. Für den Aufbau dieser Schwimmbäume gab man ihnen 5-8 Tage Zeit.

Vom Lagerpunkt Stepanowka fanden sich im Archiv Angaben über den zeitweiligen Personalbestand im Jahre 1953:

Leiter

Unter-Leutnant

Martynenko Iwan Grigorewitsch

1400 Rbl

stellv. Leiter

Leutnant

Medwetko Iwan Pawlowitsch

-----

Sonderabteilung

Leutnant

Wosowik Petr Grigorewitsch

700 Rbl

Kultur- und Erziehungs-Abteilung

Ober-Leutnant

Schwedenko Grigorij Afanasewitsch

700 Rbl

Sanitätsabteilung

Arzt

Subarew Aleksej Nikiforowitsch

690 Rbl

 

1953 wies der tägliche Beschaffungsplan bis zu 400 Kubikmeter vor, und so waren die Menschen im Oktober eingeteilt:

Man stellte die Aufgabe, die alten Gebäude, die Stabsquartiere, die Bäckerei und die Baracke vom Lagerpunkt Belousow Kljutsch nach Stepanowka hinüber zu transportieren.

Auf dem Gelände des Wachhäuschens, neben dem (ehemaligen) Laden, in dem alten Dorf (hinter der Molodeschnaja-Straße) und bis zur Garage der Waldwirtschaft wurde die Lagerzone in Form eines Vierecks errichtet. Sie war von Stacheldraht umgeben, an den Ecken standen Wachtürme, auch Hunde hielten Wache. Innerhalb der Zone befanden sich 6 Wohnbaracken für die Häftlinge; es gab eine Kantine, die mit dem Klub in einem Gebäude untergebracht war, ein Badehaus, ein Kontor, einen Isolator. Die großen Tore wurden auf der Seite errichtet, wo der Kungus vorbeifloß. In Fortsetzung des Lagers befand sich eine Garage, innen eine große Sägevorrichtung. Dorthin brachte man das Holz aus dem Revier mit Pferden über den hölzernen Schienenweg.

Auf einer Fuhre konnte man 6-8 Kubikmeter Holz unterbringen. Als die Häftlinge aus Norilsk eintrafen, nahm die Anzahl der „blatnye“ (Kriminelle; Anm. d. Übers.) stark zu. Aber später überwog die Zahl der einfachen Häftlinge, und die Kriminellen wurden in andere Lager geschickt. Etwas weiter nördlich bauten sie ein schönes Gebäude für die Wachmannschaften, das nannte sich im Volksmund „Vsvod“. Das Gebäude wurde hauptsächlich aus Lärchen- und Kiefernbalken errichtet, die eine Größe von 20x20 cm hatten, außen wurde alles mit Rohputz versehen, aber drinnen wurden die Wände mit Wandmalereien geschmückt. Es gab dort Sportgeräte: ein Reck, eine Stange, Seile, ein Klettergerüst und einen Schwebebalken. Die Hundeführer trainierten ihre Hunde. Im Hof lebte einmal ein an die Kette gelegtes Bärenjunges. Es gab eine Tanzfläche, einen Sommer-Kinosaal, wohin die Jugend von Stepanowka zur Erholung ging. Die Lagerleiter waren: 1951-1952 – Oberleutnant Poljakow, 1952-1953 – Oberleutnant Losew, bis 1957 außerdem noch G. Martynenko, Hauptmann D.J. Subbotin, Hauptmann Strunin, Schawljak; K.G. Schablowinskij und Jegorow waren Leiter des Flößerei-Reviers. Die Anzahl der Häftlinge betrug bis zu 600 Mann (siehe Lagerplan).

Es ist bemerkenswert, daß das ganze Gelände der Lagerzone und des „Vsvod“ in idealer Weise instandgehalten wurde. Überall herrschte Sauberkeit - im Sommer sah man Beete mit Blumen. Die Menschen, denen die Freiheit entzogen worden war, versuchten, so gut sie konnten, alles noch schöner zu machen und sich ihren Aufrenthaltsort einigermaßen herzurichten. Die in Freiheit Lebenden waren aus irgendeinem Grunde nicht so pedantisch, was diesen Punkt betraf. Es gab Fälle von Flucht unter den Gefangenen; dann herrschte im Dorf tagelang große Anspannung, bis der Flüchtling endlich gefunden worden war. Soldaten mit Hudnen durchsuchten jeden auch noch so kleinen Winkel. Es kam auch vor, daß Flüchtlinge getötet wurden.

Die Häftlinge arbeiteten beim Holzeinschlag an den Flüssen Parfenowka und Samsonowka. Jeden Tag wurden sie unter Wachbegleitung in das betreffende Waldstück gebracht, wo auf dem gefrorenen Boden auch Wachtürme standen. Im Sommer, wenn sie von der Arbeit zurückkehrten, schenkten sie den Kindern geschickt geflochtene Blumenkränze und brachten ihnen Uhus und andere Gaben des Waldes mit.

Beim Lager wurde eine große Anzahl Pferde gehalten, das für sie benötigte Heu mähten sowohl Häftlinge als auch Einwohner. Nach der Schließung des Lagers blieb der Pferdepark noch bis Mitte der 1970er Jahre erhalten. Früher hatten sie mit den Pferden Heu und Brennholz transportiert. Die Leute kannten fast alle Pferde bei ihrem Namen. Die Vertreter der Lagerleitung fuhren zu den verschiedenen Objekten stets in wunderschönen Schlitten-Kutschen, wobei sie die allerschnellsten Pferde benutzten; das schnellste Pferd war Chmara, das beste Arbeitstier – Galka. Als Pferdepfleger war der Kasache Dadyrow tätig, es gab 118 Pferde.

Die Gefangenen bereiteten häufig Konzerte vor, traten im Feuerwehrhaus auf, im Klub, sie sangen lieder, sagten Gedichte auf und machten Kunststücke. Man sah ihnen mit Interesse zu.

Auf dem Territorium der Lager-Garage war eine kleine Ziegelei in Betrieb, welches das gesamte Dorf mit Ziegelsteinen versorgte. Die Steine waren von einer außerordentlich guten Qualität, in einigen Häusern erweisen sie noch heute zuverlässige Dienste. Das Kontor der Geschäftsleitung war vollgehängt mit Losungen wie z.B. „Die Kader entscheiden alles“, es gab Plakate, Grafiken, Anschlagtafeln usw.

Am 5. März 1953, dem Todestag J.W. Stalins, befand sich das Dorf in Trauer. An den Häusern waren schwarze Fahnen aufgehängt worden, aufgeregt heulten die Alarmsirenen. Man muß denken, daß viele im Lager Erleichterung empfanden, weil sie nun auf eine positive Wendung ihres Schicksals hofften.

Welcher Art die negativen Lagerfolgen waren, das haben wir bereits festgestellt, und wir fügen hinzu, daß auch heute die verschiedenartigsten Verbrechen begangen werden. Am alarmierendsten ist die Zahl der Morde, die in den meisten Fällen im Alkoholrausch geschehen. Eine Siedlung muß eine Menge durchmachen, wenn ein Vater seinen Sohn und umgekehrt, oder ein Ehemann seine Frau – und umgekehrt, ermordet.

Bei all den negativen Momenten wurden die Ortsbewohner dennoch medizinisch nicht schlecht versorgt, denn in den Lagerzonen arbeiteten recht gute Ärzte, und die behandelten auch die Ortsansässigen. Und die Erinnerung an einen tugatschinsker Chirurgen namens Nawodnij lebt in unseren Regionen noch bis heute fort. Die Vorführung von Kinofilmen, das Aufführen von Theaterstücken, gewöhnliche Tanzveranstaltungen – das alles führte meine Landsleute an die Kultur heran. Außerdem stellten das Lager-Sägewerk und die Ziegeleien alle notwendigen Materialien, und in den Lager-Badehäusern durfte sich auch die Zivilbevölkerung zum Waschen einfinden. Die Militäruniform der Wachen hinterließ sicherlich ihre Spuren in den Seelen der künftigen Offiziere. Nachdem die Freigelassenen ins freie Leben hinausgegangen waren, heirateten sie Ortsansässige und blieben für den Rest ihres Lebens hier. Nach der Auflösung des Lagers dienten die Baracken als Behausungen, der Klub wurde der Siedlung eingegliedert, die Garage blieb beim Forstrevier. Und das Wachgebäude diente zuerst als Schule, danach als Badehaus – oder andere Objekte. Und so möchte man gar keine Rührung empfinden bei solchen Folgeerscheinungen, aber ich denke es lohnt sich, sie als Tatsachen anzuerkennen.

Das Lager existierte bis 1957, danach wurde es aufgelöst. Einige, die ihre Strafe abgesessen hatten, blieben zum Arbeiten hier, eine Reihe von Wachleuten blieben ebenfalls, um hier zu leben. Es handelt sich um: N.A. Paschkowskij, M.T. Smoljarow, W.I. Ilinow, P. Goworucha, W.I. Scharypow, Risunow und andere.

Im großen und ganzen hinterließ das Vorhandensein des Lagers eine tiefe Spur in der Geschichte der Siedlung, und die Folgen sind bis heute wahrnehmbar (Lager-Jargon, auffallende Kriminalität, Mutterflüche, Schimpfwörter u.ä.). Die Lager in unseren Wäldern entstanden ab 1938 und hielten sich bis 1957; etwa zwei Jahrzehnte existierte hier das System des GULAG, das man als Staat im Staate bezeichnen kann. Natürlich hinterließ dies seine Spuren im Leben, im Alltag und den Sitten und Gebräuchen unserer Landsleute. Irgendwie sind wir alle aus dem GULAG herausgekommen, manch einer wurde verbannt, anderen wurde die Freiheit entzogen, dritte wiederum fungierten als Bewacher und leisteten Dienste – wir stammen gewissermaßen alle aus dem Lager. Nichtsdestoweniger sind nun bereits 40 Jahre nach dem Lagerleben vergangen. Schon zwei Generation sind ohne es aufgewachsen; wollen wir hoffen, daß sie in einem geringeren Maße vom Lagergeist berührt werden, und das heißt, daß sie freier und demokratischer sind.

Unterstreichen wir noch einmal, daß dieses System kein Strafsystem war, sondern vielmehr ein Vollzugssystem, denn hier wurden Strafen verbüßt, die aufgrund eines Gerichtsurteils verhängt worden waren. Viele Menschen verbrachten hier ihre Jugend, viele heirateten hier und blieben für immer. Die sibirische Erde wurde ihnen zur Heimat. Leider sind Dutzende hier gestorben, und uns ist immer noch nicht bekannt, wo sie begraben sind, aber wir werden die Suche fortsetzen.

Viktor Jakowlewitsch Oberman
„Über meine Landsleute und – ein wenig über mich“
Krasnojarsk, 2000


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